BGB § 823 Abs. 1 § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 2 § 3 Abs. 1 S. 1 § 4 Abs. 1 S. 1; StVG § 7
Leitsatz
Verlässt ein Unfallbeteiligter wegen eines Auffahrunfalls bei eisglatter Fahrbahn sein Fahrzeug, um sich über die Unfallfolgen zu informieren, eröffnet er dadurch nicht selbst einen eigenständigen Gefahrenkreis. Stürzt er infolge der Eisglätte, verwirklicht sich nicht eine aufgrund der Straßenverhältnisse gegebene allgemeine Unfallgefahr, sondern die besondere durch den Unfall entstandene Gefahrenlage.
BGH, Urt. v. 26.2.2013 – VI ZR 116/12
Sachverhalt
Der Kl. hat die Verurteilung der Bekl. zur Leistung von Schmerzensgeld und die Feststellung deren Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden aufgrund einer Schulterverletzung verfolgt, die er sich durch den Sturz auf eisglatter Fahrbahn nach einem Verkehrsunfall zugezogen hat. Vor dem Sturz des Kl. war der Pkw der Bekl. gegen den von einer vorfahrtsberechtigten Straße anhaltenden Pkw des Kl. gerutscht. Dabei verharkte sich die vordere Stoßstange des Pkw der Bekl. mit der Anhängerkupplung am Fahrzeug des Kl., ohne dass die Fahrzeuge selbst beschädigt wurden. Der Kl. stieg nach dem Unfall aus und ging um die Fahrzeuge herum. Noch vor Erreichen des Gehweges stürzte er auf der eisglatten Fahrbahn und zog sich einen Bruch des rechten Schultergelenks zu.
Das BG hat die Klageabweisung durch das LG gebilligt und die Revision zugelassen.
Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das BG.
2 Aus den Gründen:
[7] "… 1. Das BG hat der Bekl. allerdings mit Recht ein fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr angelastet, weil sie entweder infolge einer den örtlichen Gegebenheiten nicht angepassten Fahrgeschwindigkeit oder zu geringen Abstands oder Unaufmerksamkeit auf das Fahrzeug des Kl. aufgefahren ist. Gegen diese ihr günstige Beurteilung wendet sich die Revision nicht.
[8] 2. Entgegen der Auffassung des BG haftet die Bekl. dem Kl. auch für die Folgen der Verletzung, die dieser durch den Sturz auf der eisglatten Fahrbahn erlitt. Für die Frage der Verschuldenshaftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1 S. 1 und § 1 Abs. 2 StVO ist der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang zwischen den beiden Unfällen zu bejahen. Auch umfasst der Schutzbereich der Straßenverkehrsvorschriften, deren Verletzung durch die Bekl. zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Kl. geführt hat, den durch den Sturz entstandenen Schaden. Dazu haftet die Bekl. gem. § 7 Abs. 1 StVG wegen der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs.
[9] a) Die Auffassung des BG, dass der für die Verschuldenshaftung erforderliche haftungsbegründende Zurechnungszusammenhang zwischen dem durch die Bekl. verschuldeten Unfall und den Verletzungen des Kl. nicht gegeben sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
[10] Zwar lassen sich allgemein verbindliche Grundsätze, in welchen Fällen ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang bejaht oder verneint werden muss, nicht aufstellen. Letztlich kommt es auf eine wertende Betrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls an (vgl. Urt. v. 10.2.2004 – VI ZR 218/03, VersR 2004, 529, 530 Urt. v. 5.10.2010 – VI ZR 286/09, VersR 2010, 1662 Rn 20). Auch kann der Verursachungsbeitrag eines Zweitschädigers einem Geschehen eine Wendung geben, die die Wertung erlaubt, dass die durch den Erstunfall geschaffene Gefahrenlage für den Zweitunfall von völlig untergeordneter Bedeutung ist und eine Haftung des Erstschädigers nicht mehr rechtfertigt (vgl. Urt. v. 10.2.2004 – VI ZR 218/03; Urt. v. 5.10.2010 – VI ZR 286/09, jeweils a.a.O.). So liegt der Streitfall aber gerade nicht. Wirken in einem weiteren Unfall die besonderen Gefahren fort, die sich bereits im ersten Unfallgeschehen ausgewirkt hatten, kann der Zurechnungszusammenhang mit dem Erstunfall jedenfalls nicht verneint werden.
[11] Der erkennende Senat teilt nicht die Auffassung des BG, dass sich in dem Sturz des Kl. ausschließlich die durch die Straßenverhältnisse begründete allgemeine Unfallgefahr verwirklichte. Auch wenn zum Unfallzeitpunkt aufgrund der winterlichen Straßenverhältnisse die Gefahr allgemein gegeben war, dass Fußgänger ins Rutschen geraten und stürzen, war für die Verletzung des Kl. entscheidend, dass er nur wegen des Auffahrunfalls aus seinem Fahrzeug ausstieg und über die eisglatte Fahrbahn ging, um die Unfallstelle zu besichtigen und zum Gehsteig zu gelangen. Der vom BG gezogene Vergleich mit einem beliebigen anderen Fußgänger, der zu dieser Zeit auf den Straßen des Unfallorts unterwegs war, lässt dies unberücksichtigt. Ohne den Unfall hätte der Kl. sein Fahrzeug an der Unfallstelle nicht verlassen und wäre auch nicht infolge der dort bestehenden Eisglätte gestürzt. In dem Sturz des Kl. realisierte sich mithin die besondere Gefahrenlage für die an einem Unfall beteiligten Fahrzeugführer, die zur Aufnahme der erforderlichen Feststellungen für eine ggf. notwendige Schadensabwicklung aus dem Fahrzeug aussteigen und sich auf der Fahrbahn bewegen müssen. Der h...