Hier ist die Rechtsprechung uneinheitlich, wobei wohl noch überwiegend derartiges Nachtatverhalten des Betroffenen nicht als ausreichend angesehen wird, die Erforderlichkeit der Fahrverbotsanordnung zu verneinen. So soll ein Aufbauseminar für Kraftfahrer gem. § 4 Abs. 8 StVG noch nicht ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, da das Tatbild durch eine solche Maßnahme nicht zugunsten des Betroffenen verändert werden könne:
"Fahrverbot und Aufbauseminar haben einen nicht vergleichbaren Zweck. Während Ziel des Seminars die Löschung von drei bis vier Punkten ist, die sich nach dem Mehrfachtäter-Punktesystem aus den im Verkehrszentralregister eingetragenen Entscheidungen ergeben, besitzt das Fahrverbot eine Erziehungs- und Denkzettelfunktion, der es geradezu zuwiderlaufen würde, wenn ein Betroffener die Besinnungsdauer von mindestens 1 Monat und die mit einem Fahrverbot fast immer verbundenen Unannehmlichkeiten gegen Zahlung von 455 DM und einem bloßen Zeitaufwand von weniger als 10 Stunden eintauschen könnte, wobei noch hinzukommt, dass es sich um eine Veranstaltung handelt, bei der – außer finanziellen Aufwendungen – keinerlei Leistungen, geschweige denn Prüfungs- oder Erfolgsnachweise zu erbringen sind. Hinzu kommt, dass derjenige, der nicht in der Lage ist, die nicht unerheblichen Mittel für die Teilnahme aufzubringen, gegenüber dem finanziell Bessergestellten benachteiligt würde".“
Diese Begründung scheint mir so generell kaum richtig, da das Aufbauseminar natürlich vor allem der Verkehrserziehung dient und insoweit von dem Gesetzgeber eigens gesetzlich eingebunden wurde in § 4 Abs. 8 StVG. Das Seminar allein wird aber – ohne zusätzliche entlastende Gesichtspunkte – auch m.E. nicht reichen können. Es ist aber auch eine gegenteilige Entscheidung veröffentlicht.
Richtig wird daher sein, dass sich der Richter nach Durchführung einer nachträglichen Maßnahme in seinem Urteil damit auseinander setzen müssen wird, ob diese einen erzieherischen Effekt haben konnte und wie weit dieser reichte. Sollte der Betroffene dann auch noch viele Monate nach der Maßnahme beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen haben, so wird man im Zweifel zu seinen Gunsten von einem bereits eingetretenen erzieherischen Erfolg ausgehen müssen. Dies wird in der Regel aber nur bei groben Pflichtverletzungen möglich sein. An das Absehen vom Fahrverbot nach beharrlichen Verstößen sind m.E. erhöhte Anforderungen zu stellen. Zu beachten ist bei längeren Fahrverboten, dass diese durch verkehrspsychologische Maßnahmen u.U. abgekürzt werden können.
In folgenden Fällen grober Pflichtwidrigkeiten haben Gerichte von einer Fahrverbotsanordnung abgesehen bzw. ein mehrmonatiges Fahrverbot abgekürzt:
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AG Duderstadt, Urt. v. 26.1.2001 – 3 OWi/91 Js 3332/00 – 40/00 = zfs 2001, 519 – Verkehrspsychologische Beratung |
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AG Kiel, Urt. v. 15.3.1999 – 41 OWi 15/99 = DAR 1999, 327 – Schulung für im Verkehr auffällig gewordene Fahrzeugführer (Fahrverbot wurde von drei Monaten auf einen Monat verkürzt) |
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BayObLG, Beschl. v. 5.7.1995 – 1 ObOWi 189/95 = NZV 1996, 79 – mehrstündiger Verkehrsunterricht. Aber: Das BayObLG hielt das Absehen vom Fahrverbot wegen des Verkehrsunterrichtes unter Erhöhung der Geldbuße für vertretbar, weil der Betroffene drei Hauptverhandlungstage aufwenden musste und der Verstoß objektiv (Grenzwert der Überschreitung um 31 km/h gerade erreicht, Straßen- und Verkehrsverhältnisse, Ausschluss einer konkreten Gefährdung) und subjektiv (fahrlässiges Verhalten aufgrund einer verhältnismäßig kurzfristigen Unachtsamkeit, fehlende Vorahndungen, Anpassung an fließenden Verkehr) nicht als allzu erheblich einzustufen war |
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AG Rendsburg, Beschl. v. 1.12.2005 – 17 OWi 555 Js OWi 20236/05 = NZV 2006, 611 – verkehrspsychologische Einzelmaßnahme "avanti-Fahrverbot" (Absehen trotz dreimaliger vorhergehender Geschwindigkeitsverstöße) |
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AG Recklinghausen, Urt. v. 8.9.2006 – 37 a OWi 55 Js 1562/05 (zitiert nach Schmitz, DAR 2007, 603) – "avanti 16" (verkehrspsychologische Intensivberatung) |
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AG Miesbach, Urt. v. 4.10.2010 – 1 OWI 57 JS 26159/10 = DAR 2010, 715 = BeckRS 2010, 30846 – Aufbauseminar für Punkteauffällige (ASP) |
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AG Traunstein, Urt. v. 14.11.2013 – 520 OWi 360 Js 20361/13 (2) = DAR 2014, 102 – Aufbauseminar nach § 4 Abs. 8 StVG (Abstandsverstoß) |
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AG Mannheim, Beschl. v. 31.7.2013 – 22 OWi 504 Js 8240/13 = BeckRS 2014, 00872 – verkehrspsychologische Maßnahme "Mobil PLUS Prävention" (Geschwindigkeitsverstoß) |
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AG Bad Segeberg, Beschl. v. 5.7.2005 – 8 OWi 361/04 = VRR 2005, 276 m. Bspr. Gübner – verkehrspsychologische Einzelmaßnahme "avanti-Fahrverbot" (Absehen von zweimonatigem Fahrverbot; weitere Umstände: Tatort auf gut ausgebauter Autobahn und fehlende Voreintragungen) |
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AG Niebüll, Urt. v. 24.7.2013 – 6 OWi 110 Js 7682/13 – 23/13 = zfs 2014, 173 – verkehrspsychologische Einzelmaßnahme "avanti-Fahrverbot" (Verstoß am Bahnübergang; zwei nicht einschlägige Voreintragungen; Tat geschah durch Panik nach Anruf ei... |