StPO § 275; OWiG § 46
Leitsatz
1. Ein vollständiges schriftliches Urteil setzt voraus, dass es von dem Tatrichter ordnungsgemäß unterzeichnet ist. Eine fehlende oder unzureichende Unterschrift stellt einen sachlich-rechtlichen Fehler dar.
2. Sind keinerlei Buchstaben erkennbar und besteht die Unterschrift lediglich aus der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder Linien, fehlt es an dem Merkmal einer Schrift und damit an einer formgerechten Unterschrift.
(Leitsätze der Schriftleitung)
KG Berlin, Beschl. v. 27.11.2013 – 3 Ws (B) 535/13 – 122 Ss 149/13
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Betr. hat gegen dieses Urteil Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das KG hat das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des AG zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
" … Grds. – und so auch hier – führt die allgemeine Sachrüge zu einer umfassenden Prüfung des Urteils auf materiell-rechtliche Fehler. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass dem Senat ein vollständiges schriftliches Urteil als Prüfungsgrundlage vorliegt. Nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 275 Abs. 2 StPO setzt dies voraus, dass es von dem Tatrichter ordnungsgemäß unterzeichnet ist. Eine fehlende oder unzureichende Unterschrift stellt einen sachlich-rechtlichen Fehler dar (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2011, 348; KG, Beschl. v. 16.9.2013 – (3) 161 Ss 121/13 (82/13)), der nur innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO berichtigt werden kann. Zwar dürfen an die Unterschriftsleistung keine allzu großen Anforderungen gestellt werden, doch muss die Unterschrift wenigstens aus einem ausreichend gekennzeichneten individuellen Schriftzug bestehen. Sie darf nicht nur ein Namenskürzel (Paraphe) oder ein abgekürztes Handzeichen aufweisen, sondern hat charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen zu enthalten. Der Schriftzug muss die Möglichkeit bieten, anhand einzelner erkennbarer Buchstaben die unterzeichnende Person zu identifizieren (vgl. OLG Köln und KG a.a.O.). Sind hingegen keinerlei Buchstaben erkennbar und besteht die Unterschrift lediglich aus der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder Linien, fehlt es an dem Merkmal einer Schrift und damit an einer formgerechten Unterschrift (vgl. BayObLG VRS 105, 356). So liegt der Fall hier. Ähnlich dem Fall, der der oben zitierten Entscheidung des Senats vom 16.9.2013 zugrunde lag, besteht auch im vorliegenden die Unterschrift der Tatrichterin lediglich aus zwei nahezu gleichlangen Strichen, von denen der linke gerade und senkrecht, der rechte hingegen in einigem Abstand beginnend zunächst waagerecht und dann mittig in einer leichten Krümmung nach rechts unten verläuft. Rückschlüsse auf einen Buchstaben, geschweige denn auf einen Namen lassen sich aus diesen beiden Zeichen nicht ziehen. Dem steht nicht entgegen, dass sich diese teilweise über dem gedruckten Namen und der Amtsbezeichnung der Richterin befinden, die das Protokoll als Tatrichterin ausweist. Denn dies kann die erforderliche Unterschriftsleistung nicht ersetzen (vgl. BGH NJW 1976, 966, 967)."
Damit aber liegt kein vollständiges schriftliches Urteil, sondern lediglich ein Entwurf vor, so dass der Senat mangels Grundlage die ihm mit der Rechtsbeschwerde angetragene sachlich-rechtliche Prüfung nicht vornehmen kann. … “
3 Anmerkung:
Diese Entscheidung dürfte manchem Richter Kopfzerbrechen bereiten und manchem Verteidiger wenigstens ein paar Monate Spielraum durch eine Rechtsbeschwerde verschaffen. Denn die "Abnutzung" einer täglich vielfach geleisteten Unterschrift dürfte allgemein bekannt sein. Die bisherige Rspr. des BGH, die u.a. zur Unterschrift eines Rechtsanwalts oder der eines Urkundsbeamten erging, liegt dabei auf derselben Linie wie die jetzige Entscheidung des KG Berlin (BGH, Urt. v. 11.2.1976 – VIII ZR 220/75, juris; BGH, Beschl. v. 17.11.2009 – XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358; BGH, Beschl. v. 26.4.2012 – VII ZB 36/10, juris). Nachdem das KG Berlin aber noch das BayObLG zitiert (BayObLG, Beschl. v. 28.5.2003 – 1 ObOWi 177/03, juris), sollte man zumindest in den Raum stellen, ob bei der Beurteilung der Unterschrift eines Richters unter einem Urteil ein großzügiger Maßstab anzulegen ist, wenn die Urheberschaft außer Frage steht (vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 11.2.1976 – IV ZB 57/75, juris). Welcher Richter unterschreibt denn Urteile eines Kollegen? Es bleibt abzuwarten, ob es demnächst weitere Entscheidungen in ähnlicher Konstellation geben wird.
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 6/2014, S. 349 - 350