Auch wenn Sie sich im Auto unbeobachtet fühlen, Sie haben viele fleißige Beobachter, die Sie überwachen. Dr. Michael Weyde hat bei den Homburger Tagen 2013 eindrucksvoll über geheime Daten in Kraftfahrzeugen referiert und noch die Frage gestellt: Fluch oder Segen? Die Frage wird je nach Standpunkt unterschiedlich zu beantworten sein: Nützen mir die Daten, um einen Anspruch durchzusetzen oder abzuwehren, sind sie ein Segen. Werde ich durch Sie einer Straftat überführt, ein Fluch. In jedem Fall sind sie eines: Realität.
Wurde von den Automobilherstellern jahrelang bestritten, dass "geheime Daten" im Fahrzeug vorhanden sind und gesammelt werden und wurden diese nur hervorgezaubert, wenn es der Abwehr von Ansprüchen gegen die Hersteller diente, geht man jetzt mit deren Existenz offen um.
Der Arbeitskreis VII des 52. Verkehrsgerichtstags 2014 hat sich mit dem Problemfeld beschäftigt und seitens der Hersteller wurden datenschutzrechtliche Probleme abgestritten. Die Datenerhebung und Datenspeicherung sei rechtmäßig, da der Kunde ja die Möglichkeit habe, sein durch AGB erklärtes Einverständnis für die Datenverarbeitung zu widerrufen. Welcher Kunde kann aber ein Einverständnis für etwas widerrufen, dessen Existenz geleugnet wurde und von dem er nichts weiß?
Die Möglichkeit der Datensammlung wird sich ausweiten, wenn europaweit das E-Call-System für Neufahrzeuge verbindlich eingeführt wird. Auch wenn E-Call zunächst nur einen automatischen Notruf absenden soll, wenn der Fahrer hierzu nicht mehr in der Lage ist, leistet das System noch weit mehr: Es wird nämlich ein umfassender Datenspeicher mit Direktzugriff auf das Fahrzeug verbindlich eingeführt, der Begehrlichkeiten weckt. Hersteller, Versicherer und Polizei haben ein Interesse am Zugriff auf das Innerste des Fahrzeugs: Informationen über den Fahrer und sein Fahrverhalten.
Das bringt den Fahrer leicht in Schwierigkeiten: Beschlagnahmt die Polizei den Datensatz, wird E-Call zum Zeugen gegen den Fahrer. Erhält der Kaskoversicherer Einblick in das Fahrverhalten vor dem Unfall, wird dies im schlimmsten Fall zur Leistungsfreiheit führen. Und der Unfallgegner kann in dem Wissen, dass die Daten vorhanden sind, im Zivilprozess zur Vorlage derselben auffordern.
Dies zeigt: Schnell kann der Autofahrer am Pranger stehen, weil ihm zu Recht oder Unrecht ein (Fehl-)Verhalten angelastet oder nachgewiesen werden kann, das vorher unbekannt geblieben ist. Deshalb braucht er Schutz: Dieser beginnt damit, dass es einer umfassenden und objektiven Aufklärung bedarf, welche Daten im Auto gesammelt werden und welche Risiken bei einer Datenweitergabe drohen. Bevor im Schadenfall Daten, die Aufschluss über die Verursachung des Unfalls geben können, weitergegeben werden, muss der Fahrer diese Einsehen können, um zu entscheiden, ob und wer sie bekommen soll. Dazu gehört auch eine Löschfunktion. Und schließlich braucht es einen Ausschaltknopf, wenn der Fahrer nicht überwacht werden will.
Ob dies die Probleme lösen wird, ist fraglich. Ermittlungsbehörden kann es gelingen, einmal gelöschte Daten wiederherzustellen, wenn die Löschung nicht endgültig ist. Der Kaskoversicherer wird an die Aufklärungsobliegenheit denken, wenn Daten nicht mehr vorhanden sind. Das Gericht wird eine Beweislastumkehr oder Beweisvereitelung annehmen können, wenn der Fahrer der Auflage zur Vorlage der Daten nicht nachkommt.
Die Zahl der Verkehrstoten in Europa zu reduzieren ist das erklärte Ziel des europäischen Gesetzgebers für E-Call. Sich diesem Ziel zu widersetzen, fällt schwer. Ob dies aber rechtfertigt, den Fahrer zum Objekt der Datenerhebung und Datenspeicherung zu machen, darf bezweifelt werden. Die Konsequenzen verlangen nach einer klaren Regelung des Gesetzgebers, die ausdrücklich und umfassend das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung achtet.
Wissen Sie, was Ihr Auto über Sie weiß? Wahrscheinlich mehr als Sie über Ihr Auto wissen.
Autor: Christian Funk
RA Christian Funk, FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Saarbrücken
zfs 6/2014, S. 301