1. Die Auffassung, wonach die Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungssachen wegen fehlenden rechtlichen Interesses an der Beweissicherung nicht gegeben sei (vgl. OLG Köln VersR 1998, 1420; OLG Nürnberg MDR 1997, 501; Rehborn, MDR 1998, 16 f.), ist seit einem Urteil des BGH aus dem Jahre 2003 (NJW 2003, 1741) überholt. Gegen das Vorliegen eines rechtlichen Interesses an der Feststellung war eingewandt worden, dass das selbstständige Beweisverfahren über das Vorliegen des Behandlungsfehlers (aus medizinischer Sicht) zu den Fragekreisen der Kausalität der fehlerhaften Behandlung für die Gesundheitsschäden und das Ausmaß der Schädigung, die von dem Gutachter nicht zu prüfende Rechtsfragen seien. Das Gericht könne auch nicht in dem selbstständigen Beweisverfahren eine für die Klärung der Schlüssigkeit und Erheblichkeit erforderliche Prüfung vornehmen und eigene Beweisfragen entwickeln (vgl. Wenzel, Der Arzthaftungsprozess – Medizinschaden – Fehler – Folgen – Verfahren, Rn 3523).
2. Der BGH hat ein rechtliches Interesse an gutachterlichen Feststellungen im selbstständigen Beweisverfahren mit der Begründung bejaht, dass sich aus der Feststellung des Gesundheitsschadens häufig ableiten lasse, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler vorliege. Damit erfülle das selbstständige Beweisverfahren auch in Arzthaftungssachen den Sinn und Zweck, die Gerichte von Rechtsstreitigkeiten zu entlasten und den Weg zu einer raschen und kostensparenden Einigung zu bahnen. Das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung fehle dann, wenn es evident sei, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen könne (vgl. BGH NJW 2004, 3488; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1725). Aber selbst dann führe das Beweisverfahren dem ASt. die Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Klage vor Augen, wozu das selbstständige Beweisverfahren aber nicht eingeführt worden sei (OLG Köln VersR 2008, 1340).
3. Das Hauptproblem des selbstständigen Beweisverfahrens liegt heute nach der Bejahung der grds. Zulässigkeit ohnehin in der Abgrenzung zulässiger und unzulässiger Fragen (vgl. Wenzel, a.a.O, Rn 353, 538). Die Grenze lässt sich dahin umschreiben, dass all die Fragen, die eine rechtliche Würdigung erforderlich machen, im selbstständigen Beweisverfahren unzulässig sind. Fragen nach der Ursächlichkeit eines Eingriffs für Schadensfolgen, Stellungnahme zu einem Sorgfaltsverstoß und die Fragen der Haftung verschiedener Beteiligter und ihrer Verursachungsbeiträge (vgl. OLG Köln VersR 2009, 1515) sind damit unzulässig. Die Grenzziehung ist deshalb schwierig, weil die rechtliche Feststellung von Behandlungsfehlern, die Prüfung der Zurechnung, die Bestimmung von Behandlungsalternativen medizinische Befunde als Grundlage haben muss, so dass es oft eine Formulierungsfrage ist, ob eine zulässige Feststellung im selbstständigen Beweisverfahren begehrt wird (vgl. OLG Oldenburg VersR 2009, 805; OLG Nürnberg MedR 2009, 155; OLG Köln MedR 2010, 107).
Wird dem Gutachter eine Fragestellung unterbreitet, ob aus medizinischer Sicht ein Behandlungsfehler, gemessen am medizinischen Standard, anzunehmen sei, der Eingriff nach medizinischer Beurteilung die behauptete ungünstige Folge gehabt habe, ist das nicht zu beanstanden, weil dem Gutachter eine rechtliche Beurteilung nicht abverlangt wird. Dass eine Beurteilung des Gutachters aus medizinischer Sicht auch die rechtliche Beurteilung des Sorgfaltsverstoßes und der Zurechnung von Schadensfolgen stark beeinflussen wird, dürfte nicht zu bestreiten sein. Medizinische Feststellungen des Gutachters beantworten die Rechtsfragen der Haftung "wie von selbst" (vgl. Wenzel, a.a.O., Rn 3535).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 6/2014, S. 325 - 327