ZPO § 485 Abs. 2
Leitsatz
Ein rechtliches Interesse an einer vorprozessualen Klärung der haftungsrechtlich maßgeblichen Gründe für einen Gesundheitsschaden durch einen Sachverständigen kann im selbstständigen Beweisverfahren auch dann gegeben sein, wenn zwar die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, jedoch für eine ab-schließende Klärung weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen.
BGH, Beschl. v. 24.9.2013 – VI ZB 12/13
Sachverhalt
Der ASt. begehrt im selbstständigen Beweisverfahren die Begutachtung eines Eingriffs der AG, in deren Klinikum nach dem Legen einer Sonde zur künstlichen Ernährung und Beatmung es zu einer Magenperforation gekommen war. Er beantragte die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den Fragen, ob die Verlegung einer Sonde in den Körper des ASt. medizinisch indiziert war, ob die Verlegung der Sonde objektiv fehlerhaft erfolgt ist und durch einen Behandlungsfehler der AG verursacht worden ist, ob eine unzureichende Verlaufsbeobachtung erfolgt war, das nicht erkannt worden sei, dass die Sonde im Bauchraum des ASt. lag und nicht im Magen. Weiterhin begehrt der ASt. für den Fall der Bejahung der vorangegangenen Fragen die Feststellung, ob die Beschäftigten der AG in einer Art und Weise gegen ärztliche Behandlungsregeln verstoßen haben, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen und dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen.
Das OLG hat die gegen die Zurückweisung des Antrags durch das LG gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Die von dem OLG zugelassene Rechtsbeschwerde, die der ASt. eingelegt hat, hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[18] "… Die Rechtsbeschwerde beanstandet mit Erfolg, dass das Beschwerdegericht den Antrag zurückgewiesen hat, weil in Arzthaftungssachen grds. ein rechtliches Interesse i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO an einer vorprozessualen Beweissicherung hinsichtlich der Feststellung eines Behandlungsfehlers nicht bestehe. Ein rechtliches Interesse ist bereits dann nach § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, auch wenn möglicherweise eine abschließende Klärung durch das einzuholende Sachverständigengutachten nicht möglich ist und weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen (Senatsbeschl. v. 21.1.2003 – VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302 ff.). Diese Voraussetzung liegt hier vor."
[19] a) Allerdings hat das BG zutreffend ein rechtliches Interesse des ASt. nicht schon deshalb verneint, weil die AG in ihrer Erwiderung auf die Antragsschrift bereits angekündigt hat, sie werde unabhängig vom Ergebnis der Begutachtung in einem Beweisverfahren ihre Einstandspflicht in keinem Fall anerkennen. Ungeachtet dessen bleibt das rechtliche Interesse bestehen, wenn die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO im Übrigen vorliegen. Dass die Behandlungsseite ihren Rechtsstandpunkt nicht ändert, ist ein Risiko, das der ASt., ebenso wie die Kostenfolge des § 96 ZPO, trägt.
[20] b) Dass die Feststellung der für die Magenperforation und deren Folgen maßgeblichen Gründe ergeben kann, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist, hindert – entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts – jedoch nicht die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens. Sinn und Zweck der vorprozessualen Beweissicherung nach § 485 Abs. 2 ZPO ist es, die Gerichte von Prozessen zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zu einer raschen und kostensparenden Einigung zu bringen (vgl. Senat, Beschl. v. 21.1.2003 – VI ZB 51/02, BGHZ 153, 302, 307 m.w.N.). Die vorprozessuale Klärung der haftungsrechtlich maßgeblichen Gründe für den Gesundheitsschaden des ASt. kann durchaus prozessökonomisch sein. Offensichtlich strebt der ASt. die Klärung an, um dann zu entscheiden, ob er Ansprüche weiterverfolgt oder davon absieht. Mithin hat er die Streitvermeidung im Auge.
[21] Dem läuft nicht entgegen, dass sich mit den möglichen tatsächlichen Feststellungen der Arzthaftpflichtprozess unter Umständen nicht entscheiden lassen wird, weil damit noch nicht die rechtlichen Fragen des Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden geklärt sind. Obwohl für die Haftung des Arztes eine Abweichung von dem gebotenen medizinischen Standard nicht genügt, wird in der Rechtspraxis bei Feststellung des Gesundheitsschadens und der hierfür maßgeblichen Gründe nicht selten erkennbar, ob und in welcher Schwere ein Behandlungsfehler gegeben ist. Deshalb kann die vorprozessuale Klärung des Gesundheitsschadens und seiner Gründe durchaus prozessökonomisch sein. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Frage, ob der Fehler von den behandelnden Ärzten schuldhaft begangen worden ist, aufgrund einer tatrichterlichen Bewertung zu beantworten ist. Die Beurteilung des ärztlichen Verschuldens ist wegen des im Zivilrecht maßgebenden objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs mit der Feststellung eines Behandlungsfehlers streng verbunden. Stellt sich eine Behandlungsentscheidung als Verstoß gegen den medizinischen Standard dar...