StPO § 147 § 338 Nr. 8; OWiG § 71 § 79; EMRK Art. 6
Leitsatz
Durch die Nichtverbescheidung eines Antrags auf Überlassung der Messdateien zur gegenständlichen Messserie und auf Aussetzung bzw. Unterbrechung des Verfahrens beschränkt das Gericht die Verteidigung des Betr. in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt unzulässig (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO), denn einem die Verteidigung beschränkenden Beschluss steht es gleich, wenn das Gericht einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Beiziehung von Unterlagen und Aussetzung der Hauptverhandlung überhaupt nicht verbescheidet.
OLG Bamberg, Beschl. v. 25.1.2015 – 3 Ss OWi 58/15
Sachverhalt
Das AG hat gegen den Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 65 km/h eine Geldbuße von 660 EUR und ein Fahrverbot von zwei Monaten nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG festgesetzt.
In seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Mit seinen Verfahrensrügen beanstandet der Betr., dass das AG einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt habe und dass das AG in der Hauptverhandlung hilfsweise für den Fall der Ablehnung gestellte Anträge auf Überlassung aller Messdaten zur gegenständlichen Messserie sowie auf Unterbrechung bzw. Aussetzung der Hauptverhandlung überhaupt nicht verbeschieden habe.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Die statthafte (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat jedenfalls mit der ordnungsgemäß ausgeführten (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG) Verfahrensrüge Erfolg, das AG habe verfahrensfehlerhaft über die hilfsweise gestellten Anträge auf Überlassung aller Messdateien zur gegenständlichen Messserie und auf Unterbrechung bzw. Aussetzung der Hauptverhandlung nicht entschieden. Auf die weitere Verfahrensrüge und die materiellen Rügen kommt es daher nicht mehr an."
2a. Tatsächlich ergibt sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung, dass der Betr. über seinen Verteidiger einen Beweisantrag gestellt und hilfsweise die Überlassung aller Messdateien zur gegenständlichen Messserie und die Unterbrechung bzw. Aussetzung der Hauptverhandlung beantragt hat. Während das AG den Beweisantrag in seinem Urteil abgelehnt hat, hat es ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung und der Urteilsgründe über die weitergehenden Anträge des Betr. nicht entschieden.
2b. Durch die Nichtverbescheidung des Antrags auf Überlassung der Messdateien zur gegenständlichen Messserie und auf Aussetzung bzw. Unterbrechung des Verfahrens hat das AG die Verteidigung des Betr. in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO), denn einem die Verteidigung beschränkenden Beschluss steht es gleich, wenn das Gericht einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Beiziehung von Unterlagen und Aussetzung der Hauptverhandlung überhaupt nicht verbescheidet (KK/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 338 Rn 102; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 338 Rn 60, jeweils m.w.N.). Dem Betr. ist es auch trotz bis zur Rechtsbeschwerdebegründung unternommener mehrmaliger vergeblicher Versuche nicht gelungen, Einsicht in die von ihm gewünschte Messreihe zu erlangen.
2c. Es ist auch nicht denkgesetzlich ausgeschlossen, dass das Urteil auf der Nichtverbescheidung des Überlassungs- und Aussetzungs- bzw. Unterbrechungsantrags beruht.
III. Aufgrund des dargestellten Verfahrensfehlers wird daher auf die Rechtsbeschwerde des Betr. das Urteil des AG Bad Kissingen mit den zugehörigen Feststellungen sowie im Kostenausspruch aufgehoben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG) und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG Bad Kissingen zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).“
Mitgeteilt von RA Gernot Spiess, Münnerstadt
3 Anmerkung:
Diese Entscheidung korrespondiert mit der ebenfalls abgedruckten Entscheidung des AG Kassel (s. S. 354) zum Umfang der Akteneinsicht des Betr. und natürlich auch mit der Entscheidung des LG Halle (zfs 2014, 114). Der Betr. muss, um sich bezüglich der Messung ordnungsgemäß verteidigen zu können, zwecks sachverständiger Prüfung Einblick in die Messbilder der gesamten Messung haben – und dies in unverschlüsselter Form. Zum letzten Aspekt sagt das OLG Bamberg zwar nichts, aber letzten Endes kann unter dem Aspekt des fairen Verfahrens nichts anderes das Ergebnis sein. Wird dies im Vorverfahren nicht gewährt, muss der Verteidiger einen Antrag nach § 62 OWiG stellen und dies so lange, bis die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist abgelaufen ist. Nur auf diese Weise dokumentiert er, ähnlich wie bei dem Parallelproblem der Einsicht in die Bedienungsanleitung, dass er sich ständig, aber vergebens bemüht hat, die notwendigen Messbilder zu erhalten. Parallel muss der Verteidiger natürlich die verschiedenen Möglichkeiten im Blick behalten, Beweisanträge bzw. einen Antrag auf Aussetzung...