VVG § 19
Leitsatz
Ergibt sich für den durchschnittlichen VN aus dem Zweck der Gesundheitsfragen eines Antragsformulars und aus ihrem Text, dass es sich um Fragen des VR nach gefahrerheblichen Umständen handelt, so ist es unerheblich, ob der Versicherungsmakler des VN diesem die Gesundheitsfragen in Textform übermittelt hat.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Köln, Urt. v. 6.6.2014 – 20 U 210/13
Sachverhalt
Der Kl. wurde in den Jahren 2009, 2010 und 2011 regelmäßig ärztlich untersucht und behandelt. Dabei wurden in den ärztlichen Unterlagen die Diagnosen Alopezie, multiple Leberhämangiome, Hypercholesterinanämie, Arteriosklerose, Milzzyste, Skoliose, Herzklappeninsuffizienz und Spannungskopfschmerzen festgehalten. Wegen der Behandlungen nahm er Leistungen seines damaligen Krankenversicherers in Anspruch. Ihm fehlten Ende 2011 drei Zähne.
Der Kl. reichte bei der Bekl. unter dem 8.12.2011 über einen Versicherungsmakler, mit dem er seinen Gesundheitszustand telefonisch erörtert hatte, einen Antrag auf Abschluss einer privaten Krankenversicherung ein. Bei der Bekl. ging auf elektronischem Wege ein vierseitiger Antrag ein. Auf der zweiten Seite dieses Antrags war die Frage nach Beschwerden und Untersuchungen innerhalb der letzten drei Jahre lediglich unter Hinweis auf Bluthochdruck seit 1995 und entsprechende Medikation mit dem Zusatz "keine Herz-Kreislauferkrankung" bejaht. Auf die Frage nach fehlenden Zähnen war auf derselben Seite angegeben, dass dem Kl. ein Zahn fehle. In einem von der Bekl. übersandten Formblatt gab der Kl. am 29.12.2011 an, nicht an Migräne, Kopfschmerzen, Kropf- oder Schilddrüsenerkrankungen zu leiden. Die Bekl. nahm den Antrag mit einem Prämienzuschlag von 60 EUR wegen Bluthochdrucks und mit Wirkung zum 1.1.2012 an. Dabei bezeichnete sie den Makler als "Ansprechpartner in allen Versicherungsfragen". Der Kl. erlitt am 1.5.2012 einen Herzinfarkt. Er unterzog sich einer Zahnbehandlung.
Die Bekl. trat mit Schreiben v. 1. und 26.3.2013 vom Versicherungsvertrag zurück und verwies dabei am 1.3.2013 auf die Behandlungen in den Jahren 2009 bis 2011 und am 26.3.2013 auf die Anzahl der fehlenden Zähne, die der Kl. jeweils nicht korrekt angegeben habe.
Der Kl. hat behauptet, ihm sei ärztlicherseits vor Vertragsabschluss regelmäßig versichert worden, dass bei ihm keine Erkrankungen vorlägen. Von dem bei der Bekl. eingegangenen Versicherungsantrag habe er lediglich die erste und die dritte Seite, die ihm vom Makler per E-Mail übersandt worden seien, ausgedruckt, ausgefüllt, unterschrieben, dann wieder eingescannt und dem Makler so per E-Mail zurückgeschickt. Die zweite Seite mit den Gesundheitsangaben habe er weder ausgefüllt noch gesehen. Die Bekl. sei vor Annahme des Antrags über vergangene Krankheitsbilder informiert gewesen.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Der Antrag des Kl. auf Feststellung, dass der Krankenversicherungsvertrag fortbesteht und nicht durch den Rücktritt der Bekl. zum 1.3.2013 beendet ist, hat keinen Erfolg; denn der Vertrag ist durch Rücktritt beendet."
Die Bekl. hat mit Schreiben v. 1.3.2013 wirksam den sofortigen Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt. Hierzu war sie nach § 19 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VVG berechtigt, da dem Kl. eine Anzeigepflichtverletzung bei Antragstellung zur Last fällt.
a. Bei den im Antrag v. 8.12.2011 auf Seite 2 enthaltenen Gesundheitsfragen handelt es sich um Umstände, nach denen der VR in Textform (§ 126b BGB) i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 1 VVG gefragt hat und deren unrichtige Beantwortung gem. § 19 Abs. 2 VVG ihn zum Rücktritt berechtigt.
Dass das Antragsformular und damit auch die Gesundheitsfragen nicht von dem VR, sondern von einer “J-Versicherungsservice ag‘ erstellt wurde, ist nicht erheblich. Nach der Zielrichtung der Gesundheitsfragen und dem Inhalt des Antragsformulars ist auch aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen VN unzweifelhaft zu erkennen, dass es sich bei den Gesundheitsfragen nicht um Fragen eines eingeschalteten Versicherungsmaklers, sondern um Fragen des VR handelt, an den sich der Antrag richtet. Da das Antragsformular sämtliche Informationen enthält, die der VR zur Prüfung der Annahmefähigkeit des Antrages benötigt, erschließt sich bereits aus diesem Zweck, dass auch die Beantwortung der Gesundheitsfragen gegenüber dem VR erfolgt. Überdies verdeutlichen der im Antragsformular vor den Gesundheitsfragen enthaltene Hinweis und die dortige Bezugnahme auf die Schlusserklärung, dass die Gesundheitsfragen als vom jeweiligen VR gestellt gelten sollen. Im Antragsformular heißt es zu den Angaben zum Gesundheitszustand: “Die Gesundheitsfragen des VR sind nach bestem Wissen sorgfältig, vollständig und richtig zu beantworten. Eine Verletzung Ihrer vorvertraglichen Anzeigepflicht kann den VR zum Rücktritt oder zur Kündigung berechtigen oder zu einer Vertragsanpassung führen, was die Leistungsfreiheit des VR (auch für bereits eingetretene Versicherungsfälle) zur Folge haben kann. Bitte beachten Sie herzu die Ausführungen zur Bedeutung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gem. § 19 Abs. 5 VVG in der Schlu...