StPO § 261; StGB § 316 Abs. 1
Leitsatz
1. Bei Prüfung der Frage, ob ein Fahrzeugführer den Tatbestand des § 316 StGB bedingt vorsätzlich verwirklicht hat, ist die Blutalkoholkonzentration ein gewichtiges Beweisanzeichen für das Vorliegen vorsätzlichen Handelns.
2. Der Tatrichter ist durch § 261 StPO nicht gehindert anzunehmen, dass eine Blutalkoholkonzentration umso eher für eine vorsätzliche Tat spricht, je höher sie ist. Er muss sich jedoch bewusst sein, dass er sich lediglich auf ein (widerlegbares) Indiz stützt, das zwar gewichtig ist, aber im Einzelfall der ergänzenden Berücksichtigung anderer Beweisumstände bedürfen kann.
BGH, Urt. v. 9.4.2015 – 4 StR 401/14
Sachverhalt
Das LG hat den Angekl. u.a. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und eine Sperre von zwei Jahren für die Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Die Revision des Angekl. gegen dieses Urteil ist mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Auf die Revision des Angekl. hat der BGH das Urteil des LG Berlin aufgehoben, soweit der Angekl. im Fall II. 4. der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden ist sowie im Gesamtstrafenausspruch und im Ausspruch über die Dauer der Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Soweit für die Verurteilung im Fall II. 4. der Urteilsgründe von Bedeutung, hat das LG folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am späten Vormittag des 27.4.2013 hielt sich der alkoholkranke Angekl. in erheblich alkoholisiertem Zustand auf dem Hofgelände des "R" in Berlin auf, wo sich viele Bars und Clubs befinden. Nach einer verbalen Auseinandersetzung mit unbekannt gebliebenen Personen, bei der er sich bei 12 Grad Celsius Außentemperatur die Oberbekleidung vom Körper riss, setzte sich der Angekl. in einen Pkw und fuhr mit diesem gegen 11.30 Uhr mit nicht angepasster Geschwindigkeit mehrfach über das private Hofgelände, wobei er das Fahrzeug wiederholt mit Handbremsenkehren und quietschenden Reifen wendete. Dabei fuhr er auch auf den im Innern eines geöffneten Werktores stehenden Zeugen Z zu. Obwohl die unbekannt gebliebene Personengruppe ihn wegen seiner Alkoholisierung mehrfach aufzuhalten versuchte, verließ der Angekl. mit dem Pkw das Gelände und befuhr öffentliche Straßen, bis er durch Polizeibeamte gestoppt werden konnte. Der Angekl. wusste, dass er nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war und nahm zumindest billigend in Kauf, dass er infolge seiner alkoholischen Beeinflussung nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Eine ihm um 13.05 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,24 ‰ und den Nachweis der Einnahme von Cannabinoiden. Er war aufgrund der Mischintoxikation vermindert schuldfähig.
2. Das LG hat angenommen, der Angekl. habe hinsichtlich der absoluten Fahruntüchtigkeit zumindest mit Eventualvorsatz gehandelt. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Zeuge Z ausgesagt habe, die Personengruppe habe den Angekl. gerade auch wegen seiner deutlichen Alkoholisierung zum Anhalten und Aussteigen bewegen wollen.
2 Aus den Gründen:
[6] "II. Die Beweiswürdigung zum bedingten Vorsatz der Trunkenheitsfahrt hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand; sie ist lückenhaft."
[7] 1. Ob der Täter des § 316 StGB bedingten Vorsatz hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit hat, richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Diese verlangen nach der st. Rspr. des BGH, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urt. v. 9.5.1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt daher voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und sich damit abfindet (vgl. nur Brandenburgisches OLG, Blutalkohol 50, 138 (2013); OLG Hamm NZV 2005, 161, jeweils m.w.N.; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 316 Rn 32; LK-StGB/König, 12. Aufl., § 316 Rn 186; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 316 Rn 44). Maßgeblich ist, ob der Fahrzeugführer eine so gravierende Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit zumindest für möglich hält und sich mit ihr abfindet oder billigend in Kauf nimmt, dass er den im Verkehr zu stellenden Anforderungen nicht mehr genügt (MüKo-StGB/Groeschke, 1. Aufl., § 316 Rn 83). Absolute Grenzwerte müssen vom Vorsatz nicht umfasst sein, da es sich bei ihnen nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern um Beweisregeln handelt (Groeschke, a.a.O.; ebenso SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 316 Rn 32; LK-StGB/König, 12. Aufl., § 316 Rn 188).
[8] 2. Vom Vorliegen eines bedingten Vorsatzes muss sich der Tatrichter – wie vom Vorliegen der übrigen Tatbe...