ZPO § 91 Abs. 2 S. 2; VV RVG Nr. 3100 3307
Leitsatz
Beauftragt ein Mandant einen Rechtsanwalt mit der Durchführung eines Mahnverfahrens und mandatiert er für den späteren Rechtsstreit einen anderen Anwalt, kommt es nicht zu einer Gebührenanrechnung nach Nr. 3307 S. 2 VV RVG; Mehrkosten eines derartigen "Anwaltswechsels" fallen nicht unter § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO.
OLG München, Beschl. v. 15.3.2016 – 11 W 414/16
Sachverhalt
Die Kl. hatte gegen die Bekl., die gemeinsam eine Anwaltssozietät betrieben, Schadensersatzansprüche aus Anwaltshaftung geltend gemacht. In dem von der Kl. zunächst angestrengten Mahnverfahren haben sich die Rechtsanwälte dieser Sozietät selbst vertreten. Nach Übergang in den Rechtsstreit haben die Bekl. – auf Weisung ihres Haftpflichtversicherers – die auf Anwaltshaftung spezialisierte Kanzlei ihrer nunmehrigen Prozessbevollmächtigten beauftragt.
Das LG München I hat die Klage auf Kosten der Kl. abgewiesen. In ihrem Kostenfestsetzungsantrag haben die Bekl. die außergerichtlichen Kosten für das Mahnverfahren, darunter eine 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV RVG, und die Kosten für das streitige Verfahren, darunter eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG – diese ohne Anrechnung nach der Anm. zu Nr. 3307 VV RVG – geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des LG München I hat dem Kostenfestsetzungsantrag in vollem Umfang entsprochen.
Mit der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die Kl. geltend gemacht, die im Mahnverfahren angefallene 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV RVG sei nach der Anm. zu dieser Vorschrift auf die im Streitverfahren entstandene 1,3 Verfahrensgebühr anzurechnen. Das OLG München hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
"II. Die gem. §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg; der Senat teilt die Auffassung der Rechtspflegerin, wonach die Anrechnungsvorschriften nicht dem Schutz des Erstattungspflichtigen dienen, weshalb auch § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO hier nicht einschlägig ist."
Das RVG enthält eine Reihe von Vorschriften über Gebührenanrechnungen, neben dem hier beschwerdegegenständlichen Fall einer Anrechnung der Mahngebühr insb. etwa den der Anrechnung einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr (VV Vorb. 3 Abs. 4) oder der Gebühr für ein selbstständiges Beweisverfahren (Vorb. 3 Abs. 5 VV – siehe den Überblick bei Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., Vorb. 3 Rn 246 ff.). Sinn der Anrechnungsvorschriften ist es im Wesentlichen, die Honorierung annähernd gleicher Tätigkeit zu verhindern und der Erleichterung einer Einarbeitung bzw. Vorbereitung des Anwaltes wegen bereits vorhandener Kenntnisse und dem damit verbundenen geringeren Aufwand Rechnung zu tragen (s. bereits Senat RVGreport 2009, 112 (Hansens) = AGS 2009,164).
Dabei besteht Einigkeit darüber, dass eine Anrechnung nur dann möglich ist, wenn derselbe Rechtsanwalt tätig war, andernfalls nämlich eine doppelte Honorierung nicht denkbar ist (siehe zuletzt BGH AGS 2014, 538; BGH RVGreport 2010, 109 (Hansens) = zfs 2010, 220 m. Anm. Hansens; Senat, a.a.O.; Müller-Rabe, a.a.O., Vorb. 3 Rn 261; Hansens, RVGreport 2012, 365, 367).
Ferner ist zu unterscheiden zwischen dem Rechtsverhältnis zwischen Mandant und Anwalt einerseits, mithin der Entstehung der Gebühren, und andererseits der prozessrechtlichen Beziehung zwischen Mandant und gegnerischer Prozesspartei, also der von den §§ 91 ff. ZPO geregelten Frage der Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Aufwendungen.
Die Anrechnungsvorschriften betreffen zunächst nur die Rechtsbeziehung zwischen Anwalt und Mandant – ein Berufen Dritter, insb. Erstattungspflichtiger, hierauf ist nur in Ausnahmefällen möglich, s. § 15a Abs. 2 RVG.
Wie sich ein “Anwaltswechsel’, wie hier, der einer Gebührenanrechnung somit entgegensieht, auf das Verhältnis der erstattungsberechtigten Partei zu ihrem Prozessgegner auswirkt, ist streitig, insb. was die mögliche Heranziehung der Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO betrifft. Die Frage stellt sich unter dem Gesichtspunkt des Gebotes der Kostengeringhaltung, wonach nur “notwendige’ Kosten i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO erstattet werden.
a) Nach herrschender Ansicht soll sich ein Erstattungspflichtiger im Falle einer Vertretung des Erstattungsberechtigten durch jeweils verschiedene Anwälte im außergerichtlichen Bereich einerseits und im Rechtsstreit andererseits nicht auf eine Anrechnung gem. Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG berufen können: § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO gelte nur für einen Anwaltswechsel innerhalb des “Prozesses’ bzw. innerhalb des gerichtlichen “Verfahrens’ (s. Müller-Rabe, a.a.O. § 15a Rn 69; Anh. III Rn 75; MüKo-ZPO/Schulz, 4. Aufl., § 91 Rn 83).
b) Dies soll anders sein bei einem Anwaltswechsel, also bei Heranziehung eines neuen Prozessbevollmächtigten, nach einem Mahn- bzw. nach einem selbstständigen Beweisverfahren; hier soll sich der Erstattungspflichtige auf die entsprechende Anrechnungsbestimmungen berufen dürfen (VV Nr. 3307 bzw. Vorb. 3 Abs. 5; vgl. Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 3305–3308 Rn 86 a und Anh. III Rn 74 ff.; für d...