RVG § 15 Abs. 2 § 22 Abs. 1
Leitsatz
Die außergerichtliche Vertretung zweier Geschädigter, die mit ihren jeweiligen Fahrzeugen in dasselbe Unfallgeschehen verwickelt gewesen sind, stellt für den von beiden Geschädigten nacheinander beauftragten Rechtsanwalt gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten dar.
(Leitsatz der Schriftleitung)
AG Aichach, Urt. v. 5.1.2016 – 102 C 908/15
Sachverhalt
Die beiden Geschädigten waren mit ihren jeweiligen Fahrzeugen in dasselbe Unfallgeschehen verwickelt. Der spätere Kl. zu 1 beauftragte die Anwälte mit der Regulierung der hierdurch entstandenen Schäden am 24.3.2014, der spätere Kl. zu 2 erteilte denselben Rechtsanwälten einen entsprechenden Auftrag am 26.3.2014. Die Anwälte machten die dem jeweiligen Mandanten angefallenen Schäden gegenüber der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung außergerichtlich geltend. Aufgrund der unterschiedlichen Kollisionen ergaben sich dabei vollkommen unterschiedliche Schadenspositionen. Dabei machten die Anwälte auch jeweils die für die vorgerichtliche Vertretung angefallene Anwaltsvergütung geltend, wobei sie für jeden Mandanten gesondert eine Geschäftsgebühr nach dem jeweils verlangten Schadensbetrag nebst Auslagen ansetzten. Die Haftung war dem Grunde nach unstreitig. Die gegnerische Haftpflichtversicherung zahlte jedoch insgesamt nur eine Geschäftsgebühr, berechnet nach der Summe der beiden Schadenspositionen, nebst Auslagen. Die Klage der Kl. auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe des Differenzbetrags von 508,02 EUR hatte beim AG Aichach Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Die Kl. haben gegen die Bekl. einen weiteren Schadensersatzanspruch in Form eines Freistellungsanspruchs gem. §§ 7,18 StVG, 115 WG, 249 BGB i.H.v. 508,02 EUR."
Die Haftung dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.
Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite standen beiden Kl. Ansprüche auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltkosten aus dem jeweiligen Gegenstandswert zu, da es sich um verschiedene Angelegenheiten handelt.
Beide Kl. haben die Klägervertreter getrennt voneinander beauftragt, die jeweiligen Ansprüche geltend zu machen. Alleine die Tatsache, dass die Ansprüche aus demselben Unfallereignis herrühren führt nicht dazu, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, was zur Folge hätte, dass die Rechtsanwaltsgebühren aus dem Gesamtgegenstandswert – wie von Beklagtenseite vorgenommen – zu berechnen gewesen wären.
Vorliegend kommt hinzu, dass es sich bei den beiden Kl. gerade nicht – wie so oft – um Fahrer und Halter eines verunfallten Fahrzeugs handelt, sondern beide Kl. jeweils mit ihren jeweiligen Fahrzeugen in das eine Unfallgeschehen verwickelt waren, so dass die Annahme verschiedener Angelegenheiten noch näher liegt.
Von einer einheitlichen Angelegenheit kann nur dann ausgegangen werden, wenn es sich um einen Auftrag sowie einen Tätigkeitsrahmen mit einem inneren Zusammenhang handelt. Vorliegend mangelt es bereits am Vorliegen eines Auftrags, weil der Kl. zu 1) die Klägervertreter am 24.3.2014 und der Kl. zu 2) diese am 26.3.2014 beauftragt hat. Darüber hinaus bezogen sich die geltend gemachten Ansprüche nicht nur auf vollkommen unterschiedliche Schadenspositionen, sondern waren darüber hinaus durch unterschiedliche Kollisionen im Rahmen des Unfallereignisses entstanden.
Im Ergebnis ist daher von getrennten Aufträgen in unterschiedlichen Angelegenheiten auszugehen, weshalb die zu erstattende Rechtsanwaltsgebühr auch nicht aus dem Gesamtgegenstandswert zu berechnen war.
Die Bekl. war daher antragsgemäß zu verurteilen.“
3 Anmerkung:
Eine anwaltsfreundliche Entscheidung, die in gebührenrechtlicher Hinsicht einer Anmerkung in zweierlei Hinsicht wert ist.
I. Anzahl der Angelegenheiten
Ob die außergerichtliche Vertretung zweier Unfallgeschädigter zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten sind oder nur eine einzige, ist in den §§ 16 ff. RVG nicht ausdrücklich geregelt. Ob von einer oder von mehreren Angelegenheiten auszugehen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantworten.
Dabei ist insb. der Inhalt des erteilten Auftrags maßgebend (BGH RVGreport 2011, 16 [Hansens] = JurBüro 2010, 638; BGH RVGreport 2011, 15 [Ders.] = JurBüro 2010, 636; BGH RVGreport 2009, 423 [Ders.] = AGS 2009, 472; BGH NJW 2011, 2591; BGH RVGreport 2014, 388 [Ders.] = AGS 2014, 263; BGH RVGreport 2016, 94 [Ders.]). Danach betreffen weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen i.d.R. dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann. Dabei erfordert die Annahme einer einzigen Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne nicht, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Vielmehr kann auch dann noch von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit ausgegangen werden, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Geschädigten verschiedene, in ihren Vorau...