Der 45. Deutsche Verkehrsgerichtstag, der sich vom 27.–29.1.2016 in Goslar (Arbeitskreis V) mit dem neuen Mess- und Eichwesen beschäftigte, sah es wohl kommen. Unter der Empfehlung Nr. 2 wurde folgender Beschluss gefasst: "Bei in Verkehr bringen neuer oder veränderter Geschwindigkeitsmessgeräte ist die Rechtsprechung zum “standardisierten Messverfahren‘ vorerst nicht anzuwenden.“ Weiter unter Punkt 5 heißt es: "Der Gesetzgeber wird aufgefordert, sicherzustellen, dass alle für die Überprüfung des Messergebnisses erforderlichen Daten gespeichert und im betroffenen Einzelfall auf Antrag zur Verfügung gestellt werden." "
Den Begriff des "standardisierten Messverfahrens" hat der BGH entwickelt. Es soll dazu dienen, die Vielzahl an Bußgeldverfahren bewältigen zu können. Dem Verfahren zufolge sind Richter bei als standardisiert angesehenen Messgeräten nicht verpflichtet, genauer auf die einzelne Messung einzugehen. Sie müssen das nur dann tun, wenn Hinweise auf Messfehler vorliegen bzw. vorgetragen werden. Voraussetzung für eine standardisierte Messung ist, dass das Messgerät von geschultem Personal nach den Maßgaben der Bedienungsanweisung bedient wurde.
Bevor ein Messgerät eingesetzt wurde, musste es bis zum 31.12.2014 erst das amtliche Zulassungsverfahren der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) durchlaufen. Die PTB hat die Geräte als Behörde im Rahmen des Zulassungsverfahrens geprüft, um sicherzustellen, dass sie zuverlässig arbeiteten.
Zum 1.1.2015 ist ein neues Mess- und Eichrecht in Kraft getreten, mit dem sich die Zulassung von neuen Geschwindigkeitsmessgeräten verändert hat. Seither ist die PTB nunmehr nur noch privatrechtlich als Konformitätsbewertungsstelle eingebunden. In anderen Worten erfolgt die Prüfung der Messgeräte nicht mehr durch eine unabhängige Behörde.
Und dann kam das Gerät von Jenoptik, TraffiStar 350. Es ist das erste Geschwindigkeitsmessgerät, welches nach Vorlegung einer Konformitätsbescheinigung des Herstellers eine Baumusterprüfbescheinigung durch die PTB erhielt und somit das grundsätzliche PTB-Verfahren, das bei allen vergangenen Geschwindigkeitsmessgeräten vorgenommen wurde, nicht durchlaufen hat. Den Herstellern wird hierdurch ermöglicht, noch weniger über die Funktionsweise der Geräte preiszugeben.
Aber gerade dies ist das zentrale Argument des BGH, Messungen durch diese Messgeräte grundsätzlich als "standardisierte Messverfahren" anzusehen, da durch die Zulassung durch die PTB ein sog. antizipiertes Sachverständigengutachten vorläge. Mit anderen Worten kann sich der/die erkennende Richter/in im Falle der Zulassung durch die PTB darauf verlassen, dass grundsätzlich – innerhalb einer Toleranz – Messfehler nicht zu erwarten sind.
Mit einem Paukenschlag entschied das AG Stralsund mit Urteil vom 7.11.2016 – 324 OWi 554/16, dass es gerade das Messverfahren mit diesem Gerät nicht als standardisiertes Messverfahren ansieht, weil die Verlesung einer Konformitätsbescheinigung bzw. -erklärung und die Datenleiste des Messfotos nicht für die sichere gerichtliche Überzeugung der Zuverlässigkeit der Messwerterhebung ausreichten. Im Übrigen könnten die zur Messwertüberprüfung erforderlichen Daten durch das System nicht gespeichert werden, daher bestehe im Nachgang zur Messung auch keine Möglichkeit, über die Zuverlässigkeit des Messwertes Beweis zu erheben. Dies schließe daher die Anerkennung des Messgerätes S350 als standardisiertes Messverfahren aus.
Das OLG Schleswig (Beschl. v. 11.11.2016 – 2 Ss OWi 161/16) und mittlerweile auch das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 31.1.2017 – 3 RBs 20/17) bejahen dagegen ein standardisiertes Messverfahren.
Leider beantworten die Obergerichte nicht die Frage, ob die Einführung des § 6 Abs. 3 S. 1 MessEG Auswirkungen auf die Rechtsprechung zum standardisierten Messverfahren hat. Aber gerade dies war Hintergrund der Empfehlung des 54. Verkehrsgerichtstages, nachdem hier frühzeitig die geänderte Rechtslage und deren Auswirkung erkannt wurden. Es empfiehlt sich daher derzeit umso mehr, konkret die Ordnungsgemäßheit der Messung zu bestreiten, damit sich das erkennende Gericht auf jeden Fall mit der Messung auseinandersetzt. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber schnellstmöglich die Unsicherheit in der Praxis beseitigt.
Autor: Claudio La Malfa
RA Claudio La Malfa, FA für Verkehrsrecht, Emmendingen
zfs 6/2017, S. 301