GG Art. 3 Abs. 1 103 Abs. 2; StVG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3, Abs. 6, Abs. 8 S. 1 § 28 Abs. 4 § 65 Abs. 3 Nr. 4
Leitsatz
Die Fahrerlaubnis ist nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG auch dann zu entziehen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die zum Erreichen der Acht-Punkte-Grenze führende weitere Zuwiderhandlung vor der Erteilung der Verwarnung begangen hatte und diese Zuwiderhandlung zum Zeitpunkt der Verwarnung rechtskräftig geahndet und im Fahreignungsregister gespeichert, der Fahrerlaubnisbehörde aber noch nicht übermittelt war. Eine Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 S. 3 Nr. 2 StVG tritt in einem solchen Fall nicht ein.
BVerwG, Urt. v. 26.1.2017 – 3 C 21.15
Sachverhalt
Der Kl. wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems. Mit Bescheid v. 13.2.2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kl., der mit Schreiben v. 21.1.2015 wegen des Erreichens von sieben Punkten im Fahreignungsregister verwarnt worden war, die Fahrerlaubnis. Mit einer am 10.3.2014 begangenen und mittlerweile auch rechtskräftig geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung habe er neun Punkte erreicht und damit die Schwelle von acht Punkten überschritten, ab der er gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kfz gelte. Der hiergegen gerichteten Klage hat das VG Regensburg (Urt. v. 18.3.2015 – RO 8 K 15.249, juris) stattgegeben. Im Fall des Kl. seien die in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 3 StVG vorgesehenen Stufen des Maßnahmenkatalogs (Ermahnung – Verwarnung – Fahrerlaubnisentziehung) nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden; der zur Fahrerlaubnisentziehung führende Verkehrsverstoß sei zum Zeitpunkt der Verwarnung bereits begangen, rechtskräftig geahndet und auch im Fahrerlaubnisregister eingetragen gewesen. Deshalb verringere sich der Punktestand des Kl. auf sieben Punkte. Der BayVGH hat dieses Urt. auf die Berufung des Bekl. geändert und die Klage abgewiesen (BayVGH, Urt. v. 11.8.2015 – 11 BV 15.909, zfs 2015, 654, dort auch Einzelheiten zum Sachverhalt). Eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 S. 3 StVG trete nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde beim Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG weitere Verkehrsverstöße, die zur nächsten Stufe des Maßnahmenkatalogs (hier der Fahrerlaubnisentziehung) führten, auch bereits bekannt gewesen seien. Hier habe die Fahrerlaubnisbehörde von der am 10.3.2014 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zum Zeitpunkt der Verwarnung noch nichts gewusst. Das BVerwG hat die Revision des Kl. zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
[10] "… II. Die Revision des Kl. ist zulässig, aber unbegründet. … Die Annahme des BG, der Kl. habe zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung neun Punkte im Fahrerlaubnisregister erreicht und die vorgelagerten Stufen des Maßnahmensystems nach § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchlaufen, so dass es zu keiner Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 S. 2 und 3 StVG komme, steht im Einklang mit Bundesrecht (1. und 2.). Im Ergebnis zutreffend geht das BG davon aus, dass die hier anzuwendende Neuregelung, mit der der Gesetzgeber eine teilweise Abkehr vom so genannten Tattagprinzip sowie von der Warn- und Erziehungsfunktion des bisherigen Mehrfachtäter-Punktsystems vollzogen hat, auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (3.)."
[11] 1. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (st. Rspr., vgl. u.a. BVerwG, Urt. v. 27.9.1995 – 11 C 34.94, [zfs 1996, 77 =] BVerwGE 99, 249 <250>u. Beschl. v. 22.1.2001 – 3 B 144.00, juris Rn 2 m.w.N.). Damit ist – da kein Widerspruchsverfahren durchzuführen war – auf den Erlass des Bescheids v. 13.1.2015 abzustellen.
[12] Zugrunde zu legen ist danach das mit Wirkung v. 1.5.2014 mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des StVG und anderer Gesetze v. 28.8.2013 (BGBl I S. 3313) eingeführte Fahreignungs-Bewertungssystem, das mit Wirkung ab dem 5.12.2014 insbesondere hinsichtlich der Regelungen in § 4 Abs. 5 und 6 StVG nochmals durch das Gesetz zur Änderung des StVG, der GewO und des BZRG v. 28.11.2014 (BGBl I S. 1802) geändert worden ist.
[13] 2. Ihre Rechtsgrundlage findet die Fahrerlaubnisentziehung in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG; nach dieser Bestimmung gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und ihm ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, sobald sich in der Summe acht oder mehr Punkte ergeben. Nach § 4 Abs. 5 S. 5 StVG hat die nach Landesrecht zuständige Behörde für das Ergreifen der Maßnahmen nach S. 1 auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Punkte ergeben sich gem. § 4 Abs. 2 S. 3 StVG mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird.
[14] Die letzte vom Kl. zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt begangene rechtskräftig geahndete Zuwiderhandlung, die die Fahrerlaubnisbehörde bei der Entscheidung über die ...