StVO § 37 Abs. 2; StVG § 25
Leitsatz
1. Irrt der Betr. feststellbar über die Funktionsfähigkeit einer Lichtzeichenanlage ("Dauerrot") und begeht dann einen sog. qualifizierten 1-Sec-Rotlichtverstoß, so ist er nur wegen eines fahrlässigen einfachen Rotlichtverstoßes zu der hierfür vorgesehenen Geldbuße zu verurteilen.
2. Bei solch einem Irrtum ist der Handlungsunwert des Rotlichtverstoßes deutlich verringert und der Verstoß dementsprechend nicht mehr als grob pflichtwidrig i.S.d. § 25 Abs. 1 StVG anzusehen.
AG Dortmund, Urt. v. 17.1.2017 – 729 OWi-264 Js 2313/16 – 9/17
Sachverhalt
Festgestellt wurde, dass der Betr. an der Linksabbiegerspur aufgrund der dort separaten Ampel für Linksabbieger warten musste und zwar in erster Position an der Ampel unmittelbar vor dem Haltebalken. Hinter ihm standen mehrere Fahrzeuge. Rechtsseitig vom ihm auf der sog. Geradeausspur stand ein Lkw und dahinter ein Polizeifahrzeug. Zu der Zeit, als sich die Polizei auf der rechten Fahrspur befand, waren schon fünf Grünphasen für die rechte Fahrspur, also die Fahrspur der Polizeibeamten, durchlaufen. Die Linksabbiegerspur war in dieser Zeit kein Mal freigeschaltet worden. Der Betr. und sein Beifahrer hatten hierdurch übereinstimmend den Eindruck, dass die Lichtzeichenanlage defekt sein müsse. Sie entschieden sich dazu, bei der nächsten Grünphase für die geradeausfahrenden Fahrzeuge nach links abzubiegen, auch wenn für die linke Fahrspur weiterhin Rotlicht angezeigt werde. Dies taten sie dann auch und bogen links ab. Die Polizeibeamten hatten zu dieser Zeit etwa fünf Sekunden bei Rotlicht gewartet. Der gesamte Umlauf der Ampelphasen der Kreuzung beträgt über fünfzig Sekunden. Der Betr. hatte mit seinem Fahrzeug daher mindestens zweihundertfünfzig Sekunden gewartet. Der Betr. hat den Vorwurf gestanden. Er sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Lichtzeichenanlage defekt sein müsse. Der Zeuge und Polizeibeamte B erklärte, dass es sich bei der fraglichen Lichtzeichenanlage um eine eigenartige Schaltung handele, die sich ihm auch nicht erschließe. Es sei tatsächlich so, dass nicht bei jeder Grünphase für die Geradeausfahrer sich eine Grünphase auch für die Linksabbieger anschließe.
Das AG Dortmund verurteilte den verkehrsrechtlich nicht vorbelasteten Betr. wegen fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens zu einer Geldbuße von 90 EUR.
2 Aus den Gründen:
" … Der Betr. war wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu verurteilen nach §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG. Zwar hatte das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung zunächst einen Hinweis auf vorsätzliche Begehungsweise erteilt. Der Verteidiger konnte jedoch eine sich in der rechtlichen Würdigung dem Gericht nicht wirklich erschließende Entscheidung des OLG Hamm v. 10.6.1999 – 2 Ss OWi 486/99 – vorlegen, die einen entsprechenden Fall zum Gegenstand hat und davon ausgeht, in einem derartigen Fall liege ein Tatbestandsirrtum vor. Eigenartigerweise nahm das OLG in dieser Entscheidung an, der Tatbestandsirrtum wirke sich nicht insgesamt auf die Verurteilung wegen Rotlichtverstoßes aus, sondern nur auf das subjektive Merkmal des Vorsatzes und führe so zu einer Fahrlässigkeitsverurteilung. Dementsprechend hat das Gericht eine Fahrlässigkeitsverurteilung vorgenommen. Zur damaligen Zeit wurde dann die Regelgeldbuße für einen qualifizierten Rotlichtverstoß reduziert auf die Geldbuße eines einfachen Rotlichtverstoßes. Eben dies hat das Gericht im vorliegenden Falle nunmehr auch vorgenommen, obgleich ein sog. 1-sec-Verstoß vorlag."
Letztlich hätte aufgrund des Rotlichtverstoßes bei der gegebenen langen Rotlichtdauer auch ein Regelfahrverbot festgesetzt werden müssen. Das OLG Hamm hatte insoweit festgestellt, dass es sich bei der vorliegenden Problemlage um eine solche handele, in der der Handlungsunwert deutlich verringert sei und dementsprechend der Verstoß nicht mehr als grob pflichtwidrig einzuordnen sei. Im Gegensatz zu den Ausführungen zum Tatbestandsirrtum tritt das Gericht diesen Ausführungen bei. Irrtumssituationen wie im vorliegenden Falle sind – wenn sie nach der auch hier erfolgten kritischen Würdigung der Einlassung und der weiteren Beweisaufnahme geglaubt und festgestellt werden können – typischerweise Fälle, in denen das Handlungsunrecht herabgesetzt ist und der Vorwurf eines groben Pflichtenverstoßes nach § 25 Abs. 1 StVG entfällt. Dementsprechend hat das Gericht auch hier kein Fahrverbot festgesetzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO i.V.m. § 46 OWiG.“
Mitgeteilt von RiAG Carsten Krumm, Dortmund
3 Anmerkung:
Während die Einordnung als fahrverbotswürdiges Verhalten dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten sein dürfte und es sicherlich Konstellationen des ungeduldigen Missachtens der Lichtzeichenanlage gibt, die eben doch von einem erhöhten Handlungsunwert zeugen, kann der Zweifel des erkennenden Gerichts in puncto Fahrlässigkeit rasch entkräftet werden. Wird, wie hier, ein Tatbestandsirrtum angenommen – immerhin gehört die Funktionsfähigkeit der Lichtzeichenanlage zu den Grundvoraussetzungen der Verwirklichung des Tatbestands...