Die Berufsunfähigkeit hängt von der künftigen Entwicklung des Krankheitsbilds ab. Diesbezüglich interessieren die drei folgenden Fragen.
I. Ist die Gesundheitsstörung prinzipiell reversibel?
Die reversiblen Störungen umfassen i.d.R. Beschwerden und Funktionsstörungen aufgrund von akuten Verletzungen, akuten Entzündungen und chronischen Überlastungsbeschwerden des Binde- und Stützapparats bzw. der Muskulatur.
Diese reversiblen Störungen heilen i.d.R. innerhalb von sechs bis zwölf Wochen, spätestens nach 24 Wochen aus. Ärztlicherseits können die Heilungsvorgänge z.T. durch schmerz- und entzündungshemmende Medikamente, durch unterschiedliche Formen der Physiotherapie und durch vorübergehende Schonung unterstützt werden. In dem Maße, wie die akuten Beschwerden nachlassen, sollte dann im Sinne einer Sekundärprophylaxe durch aktive Einzelgymnastik und medizinische Trainingstherapie die Belastbarkeit des Bewegungsapparats, die durch die vorangegangene Schonung abgenommen hat, gesteigert werden.
Beispiele
Muskelzerrungen, Bänderüberdehnungen, Sehnenentzündungen.
Prognose:
(Fast) immer günstig. Betroffene sind vorübergehend arbeitsunfähig, nicht berufsunfähig.
II. Ist die Gesundheitsstörung sicher irreversibel?
Irreversible Störungen lassen sich auch unter Einsatz aller moderner Therapieverfahren nicht mehr "reparieren". Die Therapie dient in solchen Fällen allenfalls dazu, eine vorübergehende oder vorübergehend verstärkte Beschwerdesymptomatik zu lindern. Durch die Therapie kann also die Lebensqualität der betroffenen Personen verbessert werden. Die i.d.R. strukturell definierten Leistungsschwächen z.B. aufgrund eines fortgeschrittenen Gelenkverschleißes oder eines massiven Bandscheibenschadens oder aufgrund einer nicht behandelbaren chronischen Entzündungskrankheit (Rheuma) lassen sich dadurch nicht beheben (dauerhafte Minderung des beruflichen Leistungsvermögens).
Beispiele
Fortgeschrittene Arthrose, massiver Bandscheibenschaden, Verlust der Gliedmaßen, neurologische Dauerschäden.
Prognose:
(Fast) immer ungünstig. Betroffene sind oft von vorneherein absehbar berufsunfähig.
III. Ist Gesundheitsstörung potentiell reversibel?
Potentiell reversible Störungen sind Störungen, die im günstigen Fall vollständig oder weitgehend ausheilen können, im ungünstigen Fall dauerhaft persistieren. Nur in diesen relativ seltenen Fällen ergeben sich Probleme mit prognostischen Aussagen. Hier können wiederholte Begutachtungen sinnvoll sein.
Beispiele
Knochenbrüche, Knocheninfektionen, neurologische Störungen z.B. nach Bandscheibenvorfall.
Prognose:
Oft monatelang unklar.
Daraus ergeben sich nachfolgende typische Fallkonstellationen.
1. Akute Beschwerden im Bewegungsapparat ohne gravierende Strukturschädigung
Solche Störungen treten häufig im Bereich der Wirbelsäule auf. Eine falsche Bewegung oder ein kalter Luftzug können ausreichen, um z.B. bei entsprechender Veranlagung einen vorübergehenden schmerzhaften Schiefhals auszulösen. In der Regel heilen diese Beschwerden innerhalb von ein bis zwei Wochen wieder vollständig und dauerhaft aus. Im Bereich der Lendenwirbelsäule können ähnliche Schmerzsyndrome einige Wochen länger andauern. In der Regel lässt sich auch ohne umfassende Diagnostik aufgrund des rasch rückläufigen Beschwerdebilds innerhalb von ein bis zwei Wochen ein günstiger Heilungsverlauf absehen. Eine spezifische Begutachtung ist in solchen Fällen nur ausnahmsweise erforderlich.
Etwas länger anhaltend können die Beschwerden nach Stauchungen, Zerrungen und Bänderanrissen sein. Auch in diesen Fällen ist ohne Nachweis eines massiven Strukturschadens (wie z.B. Knochenbruch, Verrenkung, Knorpelschaden, vollständiger Bänderriss) mit einem günstigen Heilungsverlauf zu rechnen. Hier sind i.d.R. zwei bis drei Wochen, mitunter sechs Wochen ausreichend.
Alles in Allem sind diese primär funktionellen Schmerzsyndrome am Bewegungsapparat in aller Regel sehr gutartig und rasch ausheilend. Eine spezifische Begutachtung ist nur in Ausnahmefällen nötig.
2. Akute Beschwerden im Bewegungsapparat mit gravierender Strukturschädigung
Gutachten werden häufig erforderlich im Zusammenhang mit strukturellen Schäden. Diese strukturellen Schäden können spontan aufgrund eines zunächst fortschreitenden Verschleißes auftreten (z.B. akuter Bandscheibenvorfall oder spontane Ruptur der Rotatorenmanschette in der Schulter), sie können auch unfallbedingt sein.
Aus gutachterlicher Sicht sind hier mehrere unterschiedliche Probleme zu beachten:
a) Schmerzen
Ein z.B. akuter Bandscheibenvorfall kann vorübergehend (einige Wochen lang) massive Schmerzen verursachen, die sich selbst durch Opiate nicht immer zufriedenstellend lindern lassen. In den ersten Wochen ist daher relativ unabhängig vom Beruf mit einer 100 %igen Arbeitsunfähigkeit zu rechnen.
Therapeutisch empfiehlt sich eine potente medikamentöse Schmerztherapie in Verbindung mit einer zurückhaltenden physiotherapeutischen Unterstützung.
Beispiel
Akuter symptomatischer Bandscheibenvorfall.
Prognose:
In aller Regel auf Sicht von sechs bis zwölf Wochen günstig.
b) Neurologische Störungen (Gefühlsstörungen, Muskelschwächen, Lähmungen)
Bei ausgeprägten neurologischen Störungen ist an einen frühzeitigen operativen Eingriff zu denken. Solche massiven Störungen sind aber sehr selten. Diskretere Störungen können reversibel oder irreversibel wichtige berufliche Tätigkeiten beeinträchtigen (z.B. Behinderung feinmechanischer Arbeiten au...