BGB § 194 § 195
Leitsatz
1. Die Verjährung eines "Stammrechts" auf fortlaufende Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann jedenfalls seit der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 nicht mehr angenommen werden.
2. Die einzelnen Ansprüche des VN auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung verjähren nach § 195 BGB jeweils in drei Jahren.
OLG Jena, Urt. v. 29.3.2018 – 4 U 392/17
Sachverhalt
Die Kl. war ab 2007 oder 2008 bei der Bekl. gegen Berufsunfähigkeit versichert. Für den Fall der Berufsunfähigkeit war eine Befreiung von der Beitragszahlungspflicht vereinbart. Am 1.2.2009 erlitt die Kl. einen Skiunfall, aufgrund dessen sie bedingungsgemäß berufsunfähig wurde. Sie stellte im Mai 2010 einen Leistungsantrag. Die Bekl. erklärte am 11.10.2010 eine Leistungsablehnung. Im September 2014 stellte die Kl. aufgrund anderer Erkrankungen einen neuen Leistungsantrag, den die Bekl. mit Schreiben vom 2.3.2015 ablehnte.
Die Bekl. hat die Einrede der Verjährung erhoben. Sie hat die Ansicht vertreten, das "Stammrecht" aus der Versicherung sei verjährt. Dieses erfasse alle zukünftigen Ansprüche aus dem Skiunfall vom Februar 2009. Ihr Mahn- und Kündigungsschreiben vom 15.12.2008 sei der Kl. zugegangen.
2 Aus den Gründen:
" … Die zulässige Berufung der Kl. hat in der Hauptsache zum Teil Erfolg. Die Bekl. ist aufgrund des eingetretenen Versicherungsfalls verpflichtet, die Kl. ab dem 1.1.2013 von der Beitragszahlungspflicht für ihre fondsgebundene Rentenversicherung freizustellen. Für die Zeit davor ist der Anspruch der Kl. ist verjährt."
1. Zwischen den Parteien besteht ein wirksamer Versicherungsvertrag über eine fondsgebundene Rentenversicherung mit Berufs- und Dienstunfähigkeitszusatzschutz. Eine solche ist von der Kl. mit Versicherungsbeginn 1.6.2007 beurkundet worden. Am 1.10.2009 wurde ein Nachtrag mit einem Beginn der Versicherung zum 1.7.2008 beurkundet. Aufgrund dieser Nachbeurkundung kann dahingestellt bleiben, ob ein Schreiben der Bekl. vom 15.12.2008 zu einer Beendigung des Vertrages geführt hat, oder ob es am Zugang des Mahn- und Kündigungsschreibens fehlt. Jedenfalls aufgrund der Nachtragsbeurkundung vom 1.10.2009 kann ein Versicherungsschutz und eine Beitragszahlungspflicht für die Zeit ab dem 1.7.2008 und damit für den den Zeitpunkt des Skiunfalls festgestellt werden.
2. Die Kl. ist bedingungsgemäß berufsunfähig. Sie hat hierzu vorgetragen, sie sei aufgrund eines Skiunfalls vom 1.2.2009 in ihrem bis dahin ausgeübten Beruf als Tanzlehrerin bedingungsgemäß berufsunfähig. Diese Berufsunfähigkeit ist unstreitig. Die Bekl. verteidigt sich hinsichtlich des Unfalls aus dem Jahr 2009 allein mit dem Einwand der Verjährung. Nur hinsichtlich eines weiteren behaupteten Schadensfalls aus dem Jahr 2012 bestreitet die Bekl. das Vorliegen von Berufsunfähigkeit.
3. Der Anspruch der Kl. ist nur zum Teil verjährt. Eine sog. Stammrechtsverjährung, die in der Rspr. der OLG zum Versicherungsrecht verbreitet vertreten wird und die auch die Vorinstanz ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat, kann jedenfalls seit der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008 nicht mehr angenommen werden.
a. Nach bisher einheitlicher Ansicht in der Rspr. der OLG verjähren bei einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nicht nur die einzelnen “Teilansprüche' auf Versicherungsleistungen. Unabhängig von diesen verjähre auch ein “Gesamtanspruch', ein “Stammrecht' als solches (OLG Koblenz r+s 2011, 523; OLG Stuttgart VersR 2014, 1115; OLG Hamm VersR 2015, 2675; OLG Saarbrücken NJW-RR 2017, 1508). Wenn das “Stammrecht' verjährt sei, könne ein Anspruch aus dem Versicherungsverhältnis nicht mehr geltend gemacht werden.
b. Dieser Rspr. kann nicht gefolgt werden. Nur der einzelne Anspruch auf (Versicherungs-)Leistung, nicht aber ein “Stammrecht' unterfällt der Verjährung.
aa. Gegen die Idee der “Stammrechtsverjährung' spricht schon der eindeutige Wortlaut des § 194 Abs. 1 BGB. Danach verjähren “Ansprüche', nicht aber “Stammrechte'.
Die Idee der Verjährung eines Stammrechts wurde vom BGB-Gesetzgeber zunächst erwogen. In § 160 des Ersten Entwurfs heißt es:
“Hängen wiederkehrende Leistungen von einem Hauptrechte ab, so beginnt die Verjährung des Anspruchs im Ganzen mit dem Zeitpunkte, in welchem die Verjährung des Anspruchs auf die Leistung begonnen hat.'
In der Konsequenz sah § 184 des Ersten Entwurfs eine “Stammrechtsverjährung' vor:
“Ist der Hauptanspruch verjährt, so ist auch der Anspruch auf die von demselben anhängenden Nebenleistungen verjährt, selbst wenn die für den letzteren Anspruch geltende besondere Verjährung noch nicht vollendet ist.
Bei selbstständigen wiederkehrenden Leistungen ist mit der Verjährung des Anspruchs im Ganzen auch der Anspruch auf die bis dahin verfallenden Leistungen verjährt.'
Diese Bestimmungen haben keinen Eingang in das BGB gefunden. Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen eine Stammrechtsverjährung und für eine Anspruchsverjährung entschieden (so zutreffend Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Bearbeitung 2014, § 194 Rn 16). Die historische Auslegung spricht dam...