OWiG § 46; StPO § 147
Leitsatz
Im Bußgeldverfahren ist dem Verteidiger auf dessen Verlangen hin Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des genutzten Messgeräts zu gewähren.
(Leitsatz des Einsenders)
AG Lüdinghausen, Beschl. v. 9.2.2012 – 19 OWi 19/12 [b]
Sachverhalt
Gegen den ASt. ist bei dem Kreis C ein Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften anhängig, wobei die dem ASt. zur Last gelegte gefahrene Geschwindigkeit mit dem Einseitensensor eso ES3.0 der Firma eso GmbH gemessen wurde, welcher von einem Polizeibeamten der Kreispolizeibehörde C bedient wurde.
Der Verteidiger des ASt. hat mit Schreiben v. 1.12.2011 u.a. Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des Messgeräts beantragt und zwar im Hinblick auf die Entfernung des Verteidigerbüros zum Sitz der Kreispolizeibehörde durch Übersendung von Kopien. Die Kreispolizeibehörde hat dies – trotz der Bitte des Kreises C um Übersendung der Unterlagen – abgelehnt unter Hinweis auf ein bestehendes Urheberrecht des Messgeräteherstellers und auf die Möglichkeit verwiesen, die Bedienungsanleitung bei dem Hersteller für 129 EUR zzgl. Umsatzsteuer erwerben zu können. Eine kostenlose Weitergabe lehne die Firma eso ab.
So hat der Kreis C dem Verteidiger lediglich Einsicht in die teilweise vervollständigte Akte gewährt, nicht aber in die Bedienungsanleitung. Hiergegen richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung v. 27.12.2011, mit dem der Verteidiger geltend macht, ohne die Gewährung von Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung könne deren Einhaltung bei der Messung und somit auch das Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens nicht geprüft werden. Im Wege der Abhilfeentscheidung hat der Kreis Werbeunterlagen des Messgeräts zur Akte genommen und erneut Akteneinsicht gewährt. Sodann hat der Kreis die Sache dem AG zur Entscheidung vorgelegt.
Das AG verpflichtet den Kreis C, dem Verfahrensbevollmächtigten des ASt. nach Beiziehung einer Kopie der Bedienungsanleitung des Geschwindigkeitsmessgeräts eso ES3.0 der Firma eso GmbH zu den Akten, Einsicht durch deren Übersendung in die Kanzleiräume des Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren, ersatzweise auch durch Übersendung lediglich einer Kopie unmittelbar in Papierform oder in elektronischer Form.
2 Aus den Gründen:
“… .Der Antrag ist nach § 62 OWiG zulässig. Die vereinzelt (etwa AG Wetzlar, Beschl. v. 4.1.2012 – 45 OWi 21/11) vertretene Auffassung, die Versagung der Akteneinsicht in eine Bedienungsanleitung sei keine anfechtbare Maßnahme oder Entscheidung der Verwaltungsbehörde i.S.v. § 62 OWiG, sondern diene lediglich der Vorbereitung einer das Bußgeldverfahren abschließenden Entscheidung wird mit der h.M. (etwa Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, § 62 Rn 3) abgelehnt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.
Der Verteidiger des ASt. hat im Rahmen des Bußgeldverfahrens, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, nach §§ 46 OWiG, 147 StPO ein Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Gericht oder einem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Das Akteneinsichtsrecht im Ordnungswidrigkeitenverfahren umfasst nämlich alle Schriftstücke und Unterlagen, die für den Betr. als belastend oder entlastend von Bedeutung sein könnten (AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2011 – 312 OWi 306/11 [b]). Zu den Unterlagen im Bußgeldverfahren, in die hiernach Akteneinsicht zu gewähren ist, gehören sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen werden und auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Dieses Recht umfasst damit auch entsprechend der mittlerweile wohl überwiegenden amtsgerichtlichen Rspr. den Einblick in die Bedienungsanleitung des Geräts, mit dem die Geschwindigkeitsmessung erfolgte, damit die richtige Bedienung und Aufstellung des Messgeräts nachvollzogen werden kann.
Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit und dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Betr. Nur das Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgeräts ermöglicht es dem Verteidiger, die Polizeibeamten, die die Messung vorgenommen haben, als Zeugen zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung zu befragen und die ordnungsgemäße Bedienung des Geräts nachzuvollziehen und zu überprüfen (AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2011 – 312 OWi 306/11 [b]). Zwar bestehen grds. urheberrechtliche Bedenken gegen eine Fertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung (a.A. LG Ellwangen, Beschl. v. 25.10.2010 – 1Qs 166/09; AG Gießen, Beschl. v. 23.9.2011, 5602 OWi 56/11, die jeweils die Existenz eines Urheberrechtsschutzes insgesamt verneinen). Diese Bedenken müssen jedoch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zurückstehen.
Es ist insoweit nämlich für eine Prüfung des Vorliegens eines standardisierten Messverfahrens i.S.d. Rspr. des BGH (hierzu: BGHSt 39, 291; 43, 277) notwendig, dass der Messgeräteeinsatz der Bedienungsanleitung entsprechend stattgefunden hat. Kennen weder Verwa...