ZPO § 114, § 322
Leitsatz
1. Bei der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe anzustellenden Beurteilung der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder -verteidigung ist das Rechtsmittelgericht grundsätzlich an die inzwischen eingetretene Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung gebunden.
2. Ausnahmen gelten dann, wenn eine zweifelhafte Rechtsfrage verfahrensfehlerhaft in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert worden ist oder wenn das erstinstanzliche Gericht die Entscheidung verzögert hat und die Erfolgsaussicht in der Zwischenzeit entfallen ist.
BGH, Beschl. v. 7.3.2012 – XII ZB 391/10
Sachverhalt
Der Kl. hatte vor dem AG S – FamG – nach Einreichen eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit beigefügtem Klageentwurf im August 2009 und nach antragsgemäßer Bewilligung der Prozesskostenhilfe im Januar 2010 – Klage erhoben, mit der er die teilweise Herabsetzung des titulierten Unterhalts für die beiden minderjährigen Kinder der Parteien begehrte. Die Bekl. hatte zur Verteidigung gegen die Klage ebenfalls die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das FamG hat der Klage wegen verminderter Leistungsfähigkeit des Kl. stattgegeben. Erst im Anschluss an das Urt. hat das FamG über das Prozesskostenhilfe-Gesuch der Bekl. entschieden und dieses mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Zur Begründung hat das FamG auf sein Urt. verwiesen, das in der Folgezeit rechtskräftig geworden ist.
Das OLG K hat die gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Bekl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[3] “… II. 1. Das OLG hat seine Entscheidung damit begründet, dass im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren keine der Rechtskraftwirkung des Urt. widersprechende Entscheidung ergehen dürfe. Das rechtskräftig gewordene Urt. des AG stelle verbindlich fest, dass die Klage begründet gewesen sei.
[4] 2. Das hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
[5] a) Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch sonst zulässig. Das Verfahren richtet sich nach dem in der Hauptsache anwendbaren Verfahrensrecht.
[6] Der rechtskräftige Abschluss des Hauptsacheverfahrens steht der Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen die Prozesskostenhilfe-/Verfahrenskostenhilfeversagung wegen verneinter Erfolgsaussicht nicht im Wege, weil auch in der Hauptsache ein Rechtsmittel statthaft gewesen wäre (vgl. Senatsbeschl. BGHZ 162, 230 = FamRZ 2005, 790 und FamRZ 2011, 1138 jeweils m.w.N.).
[7] In der vorliegenden Familienstreitsache finden demnach auf die Verfahrenskostenhilfe (im Folgenden einheitlich: Prozesskostenhilfe) gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG die Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO entsprechende Anwendung.
[9] c) Die Frage, ob nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens der in der Hauptsache unterlegenen Partei noch nachträglich Prozesskostenhilfe zu bewilligen oder diese aufgrund der Bindung an die rechtskräftige Hauptsacheentscheidung stets mangels Erfolgsaussicht zu versagen ist, ist umstritten (für eine grds. Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung: BFHE 141, 494 = DStR 1985, 50; OLG Düsseldorf JurBüro 1994, 176 = OLGR 1993, 281 und MDR 2009, 1356; MüKoZPO/Motzer, 3. Aufl., § 127 Rn 17; gegen eine Bindungswirkung jedenfalls bei verzögerter Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch: OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 1588 und FamRZ 1995, 1163; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl. § 119 Rn 47 – anders hingegen a.a.O. § 127 Rn 50; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. § 114 Rn 41 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist das OLG zu Recht von einer Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung ausgegangen.
[10] aa) Es ist allgemein anerkannt, dass Prozesskostenhilfe nach Abschluss des Verfahrens noch rückwirkend bewilligt werden kann, wenn der Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen während des Verfahrens gestellt, aber nicht verbeschieden worden ist (Senatsbeschl. FamRZ 2010, 197 Rn 20 f. und FamRZ 1982, 58). Das betrifft vor allem den Fall, dass das Gericht über das Prozesskostenhilfegesuch nicht unverzüglich entscheidet, sondern die Entscheidungsreife in der Hauptsache abwartet.
[11] Bei der Entscheidung des Beschwerdegerichts ist indessen im Hinblick auf die Erfolgsaussicht die – zwischenzeitlich eingetretene – Rechtskraft der in der Hauptsache ergangenen Entscheidung grundsätzlich zu beachten. Zwar wirkt die Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits und nur insoweit, als über denselben Streitgegenstand entschieden worden ist. Gegenstand des Prozesskostenhilfe-/Verfahrenskostenhilfeverfahrens ist demgegenüber das von der Hauptsache unabhängige Verhältnis zwischen dem rechtsuchenden ASt. und der Staatskasse, welches den Anspruch auf Prozesskostenhilfe als staatliche Sozialleistung betrifft. Die Rechtskraft bezweckt aber nicht nur den Schutz der Parteien vor erneuter gerichtlicher Inanspruchnahme, sondern dient der Sicherung des Rechtsfriedens im Allgemeinen, indem abweichende Entscheidungen zur selben Streitfrage ...