1. Der EuGH hat nicht nur die Befugnis, sondern sogar die Verpflichtung der Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats postuliert, zu prüfen, ob der Inhaber einer im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnis zur Zeit des Erwerbs seines Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat hatte. Die aus der Eintragung eines in Tschechien liegenden Ortes in den Führerschein gezogene Schlussfolgerung, dass sich der ordentliche Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat befunden habe, stellt eine bloße "Annahme" dar (wie EuGH zfs 2012, 351 ff.).

2. Bei der Beurteilung, ob der Inhaber einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis im Zeitpunkt der Erteilung dieser Berechtigung seinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat hatte, sind die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats dabei nicht schlechthin auf die Informationen beschränkt, die sich dem verfahrensgegenständlichen Führerschein entnehmen lassen oder die sie – ggf. auf Nachfrage hin – sonst vom Ausstellermitgliedstaat erhalten. Vielmehr hat diese Prüfung "unter Berücksichtigung aller Umstände des Rechtsstreits, mit dem das Gericht befasst ist", zu erfolgen (wie EuGH zfs 2012, 351 ff., Rn 90).

3. Da ausschlaggebend für die Erfüllung oder Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses die tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnisse des Betr., nicht aber die Eintragungen in behördliche Register sind, kommt diesen Mitteilungen keine schlechthin beweisende Kraft für den Wohnsitz zu.

4. Es kann geboten sein, die zuständigen Stellen des Ausstellermitgliedstaats mit den im Bundesgebiet vorliegenden Erkenntnissen über den ASt. – namentlich über seinen tatsächlichen Aufenthalt und den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse – zu konfrontieren und sie unter Hinweis auf die sich aus Art. 15 S. 1 der Richtlinie 2006/126/EG und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439/EWG ergebende Unterstützungspflicht um eine Stellungnahme dazu zu bitten, ob – und bejahendenfalls aufgrund welcher tatsächlichen Erkenntnisse – sie vom Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes des ASt. in ihrem Hoheitsgebiet ausgehen. Es bleibt dem Ermessen des VG vorbehalten, ob es die gebotenen Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung selbst durchführt oder gem. § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwGO hierzu die Beteiligten heranzieht.

(Leitsätze der Schriftleitung)

BayVGH, Beschl. v. 3.5.2012 – 11 CS 11.2795

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