BGB § 823, § 1090
Leitsatz
Wird ein Grundstück, das mit dem Recht belastet ist, dort eine unterirdische Ferngasleitung zu betreiben, mit einem Bagger überfahren, kann ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung eines sonstigen Rechts i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen.
BGH, Urt. v. 7.2.2012 – VI ZR 29/11
Sachverhalt
Die Kl. hat die Bekl. aus übergegangenem Recht des Energieversorgungsunternehmens E AG auf Ersatz der für die Überprüfung einer Ferngasleitung entstandenen Kosten in Anspruch genommen. Die Bekl. hatte im Zuge der Baumaßnahme der Stadt H Rodungsarbeiten auf verschiedenen Waldgrundstücken durchgeführt. Diese Grundstücke waren mit dem im Grundbuch der H eingetragenen Recht der E AG belastet, einen 8 Meter breiten Schutzstreifen zum Verlegen und Betreiben einer unterirdischen Gasfernleitung zu nutzen. Weiterhin wurde dem Eigentümer die Bebauung des Schutzstreifens untersagt. Ein Mitarbeiter der Bekl. fuhr mit einem 20 t schweren Kettenbagger über den Schutzstreifen. Er rutschte von den zum Schutz der Gasleitung verlegten Schutzmatten ab. Die E AG ließ die Gasleitung frei legen und überprüfen. Dabei wurde eine innerhalb der Norm liegende Verformung ("Unrundheit") festgestellt, die keiner Reparatur bedurfte. Eine Unterbrechung der Gaszufuhr war nicht erforderlich. Die Klage auf Ersatz der Überprüfungskosten blieb in beiden Instanzen erfolglos. Das BG verneinte Ersatzansprüche der Kl. aus Gefährdungshaftung im Hinblick auf § 8 Nr. 1 StVG, weil der Bagger nicht schneller als 20 km/h fahren könne. Da die Gasleitung nicht beschädigt worden sei, liege auch keine Eigentumsverletzung vor. Wegen der möglichen Weiterbenutzung der Gasleitung sei auch kein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Rechtsvorgängerin der Kl. gegeben. Auch das dinglich gesicherte Nutzungsrecht der E AG sei nicht verletzt worden, weil zum einen das Leistungsrecht nicht beeinträchtigt worden sei; da eine Beschädigung der Leitung nicht eingetreten sei, könne die Kl. Überprüfungskosten wegen vermuteter Beschädigung der Leitung nicht verlangen. Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BG.
2 Aus den Gründen:
[5] “Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ein Schadensersatzanspruch der Kl. aus übergegangenem Recht der E AG kann nicht mit der Begründung verneint werden, es fehle an der Verletzung eines absoluten Rechts.
[6] 1. Es kann dahinstehen, ob die bei der Überprüfung festgestellte Verformung der Gasleitung eine Verletzung des Eigentums der E AG an der Gasleitung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellt und ob sie auf die Arbeiten der Bekl. zurückzuführen ist. Ebenso kann offen bleiben, ob bereits der begründete Verdacht, die Gasleitung könne infolge des Befahrens des Schutzstreifens mit dem Bagger beschädigt worden sein, für die Annahme einer Eigentumsverletzung genügt (vgl. dazu Senatsurt. v. 25.10.1988 – VI ZR 344/87, BGHZ 105, 346, 350; v. 21.6.1977 – VI ZR 58/76, VersR 1977, 965, 966; BGH, Urt. v. 11.7.2002 – I ZR 36/00, TranspR 2002, 440 f. zur Sachbeschädigung i.S.d. § 429 HGB in der Fassung vom 1.1.1964; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rn B 83; MüKo-BGB/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rn 113; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 10 Rn 14).
[7] 2. Denn die Bekl. hat jedenfalls das der E AG eingeräumte dingliche Recht, die betroffenen Grundstücke in einem 8 m breiten Schutzstreifen zum Verlegen und Betreiben einer Gasfernleitung zu nutzen, verletzt.
[8] a) Das BG hat im Ansatz zutreffend angenommen, dass beschränkte dingliche Rechte – wie das der der E AG in Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 Abs. 1 BGB) eingeräumte Nutzungsrecht – als “sonstiges Recht' i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren und damit deliktsrechtlich geschützt sind (vgl. Senatsurt. v. 25.9.1964 – VI ZR 140/63, VersR 1964, 1201, 1202; v. 21.11.2000 – VI ZR 231/99, VersR 2001, 648, 649 f.; BGH, Urt. v. 31.5.2007 – III ZR 258/06, VersR 2007, 1281; MüKo/Wagner, a.a.O., Rn 146; Staudinger/Hager, a.a.O., Rn B 126 jeweils m.w.N.).
[9] b) Entgegen der Auffassung des BG hat die Bekl. widerrechtlich in die zugunsten der E AG bestellte Dienstbarkeit eingegriffen.
[10] aa) Nach der st. Rspr. des BGH setzt ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung beschränkter dinglicher Rechte einen “grundstücksbezogenen' Eingriff voraus, der sich dahin auswirkt, dass die Verwirklichung des jeweiligen Rechts am Grundstück als solches durch rechtliche oder tatsächliche Maßnahmen beeinträchtigt wird (vgl. Senatsurt. v. 28.10.1975 – VI ZR 24/74, BGHZ 65, 211, 212; v. 21.11.2000 – VI ZR 231/99, a.a.O., S. 650). Ein solcher Eingriff ist beispielsweise darin gesehen worden, dass ein Grundstück infolge baulicher Maßnahmen verschlechtert oder Zubehör entgegen den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft weggeschafft und hierdurch die Sicherheit auf dem Grundstück lastender Grundpfandrechte gefährdet wurde (Senatsurt. v. 28.10.1975 – VI ZR 24...