Nugel: Kürzungsquoten nach dem VVG, 2. Aufl. 2012, Deutscher Anwaltverlag, 231 Seiten, 34 EUR, ISBN 978-3-8240-1195-7
Vor nunmehr vier Jahren trat das grundlegend reformierte VVG in Kraft. Eine der wesentlichen Neuerungen betraf die Einführung einer quotalen Leistungskürzung bei grob fahrlässigen Pflichtverletzungen des Versicherungsnehmers, die das bis dahin geltende "Alles-oder-nichts-Prinzip" ablöste. Der Gesetzestext verhält sich insoweit allerdings nicht zur Bildung konkreter Kürzungsquoten, so dass dieses Feld der Rechtsprechung, Literatur und Regulierungspraxis überlassen bleibt. In diesem Umfeld weist der Autor mit seinem Werk sicher den Weg zur zutreffenden Quotierung. Die hohe Akzeptanz in der Praxis und die sich verdichtende Rechtsprechung zu diesem noch jungen Thema erforderten bereits ein Jahr nach der Erstauflage eine erweiterte Neuauflage.
Das Werk unterteilt sich weiterhin in drei Abschnitte. Im Allgemeinen Teil werden zunächst die systematischen Grundlagen dargestellt, insbesondere zum Einstieg die enumerative Auflistung aller Leistungskürzungstatbestände, bei denen eine Quotierung in Betracht kommen kann. Es folgt eine Darstellung zur ehemals umstrittenen Frage, ob der Versicherer bei schwerwiegendem Fehlverhalten des Versicherungsnehmers auch zu einer vollständigen Leistungskürzung auf Null berechtigt ist. Mit seinem Grundsatzurteil vom 22.6.2011 hat der BGH entschieden, dass dieses grundsätzlich statthaft ist, es aber immer der Abwägung der Umstände des Einzelfalls bedarf. Weitere Kapitel behandeln ausführlich das sog. Mittelwertmodell mit einem Einstieg bei 50 % und einer daraus folgenden Beweislastverteilung. Dabei wird insbesondere auch auf die kritische Aufnahme des Modells in der zahlreicher werdenden Rechtsprechung hingewiesen. Ferner werden die zulässigen und sinnvollen Kürzungsschritte ebenso dargestellt wie die Quotenbildung bei mehreren parallelen Pflichtverletzungen des Versicherungsnehmers, zu dessen Behandlung sich der Gesetzestext ebenfalls nicht verhält. Von besonderer praktischer Relevanz, insbesondere in der Fahrzeugversicherung, sind die Ausführungen zum Verhältnis von vertraglicher Selbstbeteiligung und Kürzungsquote. Vor dem Hintergrund der vielbeachteten Entscheidung des BGH vom 12.10.2011 setzt sich der Autor in einem neuen Kapitel auch mit der Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen bei vor dem 31.12.2007 geschlossenen Altverträgen auseinander. Ergänzt werden die Kapitel des Allgemeinen Teils mit kurzen und übersichtlichen Checklisten, die die wesentlichen Gesichtspunkte übersichtlich zusammenfassen.
Im Besonderen Teil werden die Leistungskürzungsquoten für alle denkbaren Fallgestaltungen detailliert und übersichtlich strukturiert abgehandelt. Dabei ist festzustellen, dass sich auf der Basis der zahlreicher werdenden Rechtsprechung zunehmend Fallgruppen bilden, die tabellarisch dargestellt werden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Kraftfahrtversicherung mit den Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall, wo das Fahren unter Alkoholeinfluss entsprechend seiner praktischen Bedeutung einen breiten Raum einnimmt. Der Autor schlägt auch dazu eine praxisgerechte Abstufung in Abhängigkeit von der konkreten BAK vor. Sodann folgen die Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall, die grobe Fahrlässigkeit (u.a. Rotlichtverstöße), die Gefahrerhöhung und der Ersatz sog. Rettungskosten. Mit gleichem Gliederungsschema schließen sich die Leistungskürzungsquoten für die Sachversicherung an. Abgerundet wird der Besondere Teil mit einigen Hinweisen zu den Versicherungen von Reiserücktrittskosten, privaten Unfällen und der Rechtsschutz.
Vervollständigt wird die Darstellung durch einen Anhang mit allen praxisrelevanten Versicherungsbedingungen und dem vom 47. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2009 entwickelten "Goslarer Orientierungsrahmen". Der Arbeitskreis hatte sich insbesondere dafür ausgesprochen, Musterquoten zu bilden und insoweit nur wenige Quotelungsstufen zu verwenden.
Der Autor, ein durch zahlreiche Anmerkungen und Aufsätze zu dieser noch jungen Thematik ausgewiesener Kenner der Materie, gibt mit seinem Werk einen hilfreichen Wegweiser, der gleichermaßen Rechtsanwälten, Richtern und Mitarbeitern der Versicherungswirtschaft ein ergiebiger Ratgeber ist und sich in der Regulierungspraxis bereits als unverzichtbares Standardwerk etabliert hat.
Autor: Rainer Wenker
Ass. jur. Rainer Wenker, Steinfurt/Münster