BGB § 253 Abs. 2 § 823 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1 § 11
Leitsatz
Bei der Beurteilung der Frage, ob psychische Beeinträchtigungen infolge des Unfalltodes naher Angehöriger eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen, kommt dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, ob die Beeinträchtigungen auf die direkte Beteiligung des "Schockgeschädigten" an dem Unfall oder das Miterleben des Unfalls zurückzuführen oder ob sie durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst worden sind.
BGH, Urt. v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12
Sachverhalt
In der Revisionsinstanz verfolgt der Kl. die Verurteilung des beklagten Haftpflichtversicherers zum Ersatz weiteren immateriellen Schadens aus einem Verkehrsunfall.
Der VN der Bekl. W befuhr mit dem haftpflichtversicherten Pkw unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um mindestens 58 km/h bei erheblicher Alkoholisierung eine innerörtliche Straße. In einer langgezogenen Linkskurve kam er von der Fahrbahn ab und geriet mit seinem Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn, auf der ihm der Kl. und hinter diesem dessen Ehefrau auf Motorrädern mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h entgegen kamen. W verfehlte mit seinem Kfz den Kl. knapp, erfasste jedoch dessen Ehefrau, die bei der Kollision tödliche Verletzungen davon trug. Der Kl. begab sich nach dem Unfall in ärztliche Behandlung bei seinem Hausarzt. Dieser diagnostizierte eine akute Belastungsreaktion nach ICD F 43.9. Auf den Rat seines Arztes zog der Kl. aus der früheren Ehewohnung aus, um die Bedingungen der psychischen Verarbeitung des Unfallgeschehens zu verbessern. Seinen Beruf als Lkw-Fahrer musste er wegen Angstzuständen und Zittern im Straßenverkehr aufgeben und nahm eine Beschäftigung im Innendienst auf. Nach einer Zahlung der Bekl. von 4.000 EUR Schmerzensgeld macht der Kl. ein weiteres Schmerzensgeld von 8.000 EUR geltend. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er bei dem Unfall einen schweren Schock erlitten habe, da er das Unfallgeschehen miterlebt habe. Das LG hat den vorgerichtlich gezahlten Schmerzensgeldbetrag von 4.000 EUR für angemessen gehalten und den weitergehenden Anspruch abgewiesen. Dem ist das OLG im Ergebnis gefolgt, das eine bei dem Unfall von dem Kl. erlittene Gesundheitsverletzung verneint hat. Die Revision führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das BG.
2 Aus den Gründen:
[6] "… 1. Das BG ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass durch ein Unfallgeschehen ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen können (vgl. Senatsurt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn 12; v. 30.4.1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344; v. 16.1.2001 – VI ZR 381/99, VersR 2001, 874, 875; v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 24). Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, dass die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung nicht voraussetzt, dass sie eine organische Ursache haben; es genügt vielmehr grds. die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingte Gesundheitsschädigung ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre (Senatsurt. v. 30.4.1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 343 f. Rn 14 f.; v. 4.4.1989 – VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854; v. 9.4.1991 – VI ZR 106/90, VersR 1991, 704, 705; v. 2.10.1990 – VI ZR 353/89, VersR 1991, 432, jeweils m.w.N.)."
[7] 2. Im Ausgangspunkt zu Recht hat das BG auch angenommen, dass dieser Grundsatz nach der gefestigten Rspr. des Senats im Bereich der sog. Schockschäden eine gewisse Einschränkung erfährt. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer und seelischer Schmerz, denen Hinterbliebene beim (Unfall)Tod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Der Senat hat dies damit begründet, dass die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB der Absicht des Gesetzgebers widerspräche, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die auf die Rechtsgutverletzung eines anderen bei Dritten zurückzuführen sind, soweit diese nicht selbst in ihren eigenen Schutzgütern betroffen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen (vgl. Senatsurt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 164 ff.; v. 31.1.1984 – VI ZR 56/82, VersR 1984, 439; v. 4.4.1989 – VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854). Psychische Beeinträchtigungen infolge des Todes naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, können vielmehr nur dann als Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeh...