StGB § 316a
Leitsatz
Zum Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers eines Kfz durch eine vorgetäuschte Polizeikontrolle.
BGH, Urt. v. 23.4.2015 – 4 StR 607/14
Sachverhalt
Das LG hat die Angeklagten des schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung und Kennzeichenmissbrauch schuldig gesprochen und zu verschiedenen Freiheitsstrafen verurteilt. Nach den Feststellungen des LG überfielen die drei Angeklagten und drei gesondert Verfolgte Personen am 18.12.2011 den Nebenkläger, der einen Lkw auf einer Transportfahrt führte. Die Angeklagten folgten, dem gemeinsamen Tatplan entsprechend, mit einem Pkw dem vom Nebenkläger geführten, am Flughafen Frankfurt am Main beladenen Lkw auf die Bundesautobahn A 3. Die Täter fuhren kurz vor einem Rastplatz auf der mittleren Fahrspur der Autobahn neben den Lkw. Ein Angeklagter betätigte die Hupe, ein weiterer Angeklagter gab vom Beifahrersitz aus dem Nebenkläger durch das geöffnete Fenster per Handzeichen zu verstehen, er solle rechts herausfahren. Der Nebenkläger nahm – wie von den Tätern beabsichtigt – an, dass es sich um eine Polizeistreife in Zivil handele und eine Fahrzeugkontrolle durchgeführt werden solle. Er lenkte daher den Lkw auf den Rastplatz, hielt an und stellte den Motor ab. Einer der Angeklagten ging auf die Fahrertür des Lkw zu und rief: "Polizeikontrolle! Papiere bitte!" Während der Nebenkläger nach den Fahrzeugpapieren und Frachtunterlagen griff, streifte sich einer der Angeklagten eine Unterziehhaube über das Gesicht, öffnete die Fahrertür des Lkw und bedrohte den Nebenkläger mit einer nicht geladenen Pistole. Er zwang ihn, sich auf das Bett in der Kabine hinter dem Fahrersitz zu legen, wo er ihn fesselte und ihm eine Jacke über den Kopf legte. Dann fuhr er mit dem Lkw zu einem für das Umladen der Beute vorgesehenen Platz. Dort warteten weitere Angeklagte mit einem weiteren Fahrzeug, auf das die Täter Waren im Wert von rund 450.000 EUR umluden.
Der BGH hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des Landgerichts aufgehoben und auf die Revision der Angeklagten hin bezüglich eines Angeklagten das Strafmaß abgeändert, die Revision der Angeklagten im Übrigen verworfen.
2 Aus den Gründen:
" … II. Revisionen der Angeklagten …"
[7] III. Revisionen der Staatsanwaltschaft
[8] Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.
[9] 1. Nach den Feststellungen haben sich die Angeklagten tateinheitlich auch des (gemeinschaftlichen) räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gem. § 316a Abs. 1 StGB schuldig gemacht.
[10] a) Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. November 2003 (4 StR 150/03, BGHSt 49, 8) erfasst der Tatbestand des § 316a StGB als taugliches Tatopfer nur den Führer (oder den Mitfahrer) eines Kfz. Erforderlich ist, dass das Tatopfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, besitzt. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass der Nebenkläger bei dem Angriff auf dem Parkplatz nicht mehr Führer des Lkw war. Zwar hielt sich das Tatopfer noch im Fahrzeug auf. Es war aber zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen nicht mehr mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst, damit nach der Rspr. des Senats nicht mehr Führer des Lkw und deshalb zu diesem Zeitpunkt kein taugliches Angriffsziel i.S.d. § 316a StGB (vgl. BGH, a.a.O.; NK-StGB/Herzog, 4. Aufl., § 316a Rn 16).
[11] b) Indem die Täter ihr Opfer zuvor durch die vorgetäuschte Polizeikontrolle zu diesem Halt zwangen, lag jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts die für die Tatbestandsmäßigkeit erforderliche zeitliche Verknüpfung zwischen dem Verüben des Angriffs und der Führereigenschaft des Angegriffenen vor (vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 28.6.2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, u. v. 25.9.2007 – 4 StR 338/07, BGHSt 52, 44).
[12] aa) Für die insoweit allein problematische Frage, ob die Angeklagten einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Nebenklägers als Führer des Lkw verübt haben, gilt nach der Rspr. des Senats das Folgende (vgl. insb. BGH, Urt. v. 20.11.2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8; Beschl. v. 14.7.1987 – 4 StR 324/87, BGHR StGB § 316a Abs. 1 Angriff 1): Einen solchen Angriff verübt, wer in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine gegen die Entschlussfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters braucht das Opfer dagegen nicht erkannt zu haben. Ebenfalls nicht vorausgesetzt ist, dass der verübte Angriff sich bereits unmittelbar gegen das Eigentum bzw. das Vermögen des Opfers richtet.
[13] bb) Dadurch, dass der Angeklagte S. und die gesondert Verfolgten S. M. und H. in Absprache mit den weiteren Angeklagten Z. und M. M. den Nebenkläger veranlassten, mit seinem Lkw die Autobahn zu verlassen und den Rastplatz aufzusuchen, haben sie im vorbezeichneten Sinn einen tatbestandsmäßigen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers eines Kfz verübt. Der Nebenkläger befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt objektiv in einer Nötigung...