ZPO § 3; EGZPO § 26 Nr. 8; BGB §§ 346 ff.
Leitsatz
Begehrt ein Verbraucher außerhalb des Anwendungsbereichs des § 358 BGB die Feststellung, dass durch seinen Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags dieser gem. § 357 Abs. 1 S. 1 BGB in der bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung nach den §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln ist, bemisst sich der Wert seiner Beschwer gem. § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO, § 3 ZPO nach der Hauptforderung, die er gem. §§ 346 ff. BGB beanspruchen zu können meint.
BGH, Beschl. v. 12.1.2016 – XI ZR 366/15
Sachverhalt
Die Kl. haben vor dem LG Stuttgart die Feststellung begehrt, dass drei in den Jahren 2008 und 2009 mit der Bekl. geschlossenen Darlehensverträge über 220.000 EUR, 110.000 EUR und 72.000 EUR durch den Widerruf der Kl. vom 20.6.2014 "beendet" sind. Im Zeitpunkt des Widerrufs valutierten diese Darlehensverträge noch i.H.v. insgesamt 369.046,77 EUR. Das LG Stuttgart hat dem Feststellungsantrag der Kl. entsprochen. Das OLG Stuttgart hat die dagegen gerichtete Berufung der Bekl. zurückgewiesen, die Revision nicht zugelassen und den Streitwert für beide Rechtszüge auf bis 65.000 EUR festgesetzt. Hierbei hat das OLG auf die im Zeitpunkt des Widerrufs nach dem Vertrag noch bis zum Ablauf der Zinsbindung anfallenden Zinsen abgestellt, diesen Betrag gem. § 9 ZPO allerdings durch den dreieinhalbfachen Jahresbetrag begrenzt. Die Bekl. hat gegen das Urt. des OLG Stuttgart Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der BGH hat auf diese Beschwerde die Revision zugelassen.
2 Aus den Gründen:
[2] "… II. Die Beschwerde der Bekl. gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig. Der Wert der mit der beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer liegt über 20.000 EUR."
[3] 1. Die Wertberechnung im Rahmen des § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO ist nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO vorzunehmen (BGH WM 2015, 1669 Rn 3 m.w.N.). Für die Berechnung des Werts der Beschwer kommt es auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels an (§ 4 Abs. 1 ZPO; vgl. BGH NJW-RR 2001, 1571, 1572). Maßgebend ist das Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Über die Höhe der Beschwer hat das Revisionsgericht selbst zu befinden. Ist Rechtsmittelkläger der Bekl., bestimmt sich sein Interesse an der Beseitigung der Verurteilung (materielle Beschwer). Dieses Interesse stimmt mit dem Interesse des Kl. an der Verurteilung bzw. dessen formeller Beschwer nicht notwendig überein (vgl. BGH MDR 2014, 461 Rn 6). Allerdings bildet das Klägerinteresse die Obergrenze für die Beschwer des Bekl. (vgl. BGH WM 1990, 2058, 2059 und vom 3. 11. 2005 – IX ZR 94/04, juris Rn 8).
[4] 2. Das Interesse der Kl. an der beantragten Feststellung, das das Interesse der Bekl. nach oben begrenzt, beläuft sich auf mehr als 20.000 EUR.
[5] a) Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines auf § 495 Abs. 1 BGB in der vom 1.8.2002 bis zum 10.6.2010 geltenden Fassung gestützten Widerrufs eines Verbrauchervertrags (§ 355 BGB) und begehrt der klagende Verbraucher die Feststellung, der Darlehensvertrag sei “beendet’ bzw. habe sich in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, ist das wirtschaftliche Interesse des Kl. an dieser Feststellung unter Berücksichtigung der gegeneinander abzuwägenden Vor- und Nachteile bei Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit des Widerrufs nach § 3 ZPO zu schätzen (vgl. RGZ 52, 427, 428 f.; BGH HRF 1977, Nr. 109; OLG Karlsruhe WM 2015, 2088, 2089; OLG Koblenz JurBüro 2016, 25; OLG Saarbrücken AGS 2016, 85).
[6] b) Liegt dem Verbraucherdarlehensvertrag wie hier kein verbundener Vertrag zugrunde (§ 358 BGB), kann der Wert der Beschwer nicht mit dem Nettodarlehensbetrag gleichgesetzt werden. Vielmehr sind in solchen Fällen, wenn das Schuldverhältnis gem. § 357 Abs. 1 S. 1 BGB in der bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung (künftig: a.F.) nach den §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln ist, die Leistungen maßgeblich, die der Kl. gem. §§ 346 ff. BGB beanspruchen zu können meint.
[7] aa) Der wirksame Widerruf der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers gestaltet den Verbraucherdarlehensvertrag mit Wirkung für die Zukunft in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Bei der Betrachtung der dem klagenden Verbraucher durch den Widerruf entstehenden Vorteile ist damit, weil der Kl. künftig Leistungsbeziehungen aus dem Rückgewährschuldverhältnis und nicht aus dem Verbraucherdarlehensvertrag herleiten will, dieses Rechtsverhältnis und nicht der Verbraucherdarlehensvertrag maßgeblich. Das gilt ohne Rücksicht auf die konkrete Fassung des Feststellungsantrags. Auch dann, wenn der Antrag wie hier dahin lautet festzustellen, dass der Verbraucherdarlehensvertrag beendet ist, liegt dem die Behauptung zugrunde, für die Zukunft Ansprüche aus §§ 346 ff. BGB herzuleiten. Schon deshalb vermag der in der obergerichtlichen Rspr. vertretene Ansatz nicht zu überzeugen, der Wert des klägerischen Interesses sei anhand des Vertragszinses bis zum Ende der Zinsbindung (OLG Karlsruhe WM 2015, 2088, 2089 f.) oder – wie vom BG bei der Festsetzu...