StVG § 25; BKatV § 4; StVO § 3 Abs. 3
Leitsatz
Ein defekter Tachometer kann den Handlungsunwert eines Geschwindigkeitsverstoßes herabsetzen mit der Folge, dass der Vorwurf eines groben Pflichtenverstoßes nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG entfällt. Zeigt der Tachometer trotz des Defektes zur Zeit des Verstoßes eine überhöhte Geschwindigkeit an, so nimmt dies jedoch nicht den Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung in vollem Umfange; die Regelgeldbuße für den festgestellten Geschwindigkeitsverstoß bleibt maßgeblich.
AG Lüdinghausen, Urt. v. 7.3.2016 – 19 OWi-89 Js 2669/15-258/15
Sachverhalt
Das AG Lüdinghausen hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 185 EUR verurteilt.
Der Betroffene befuhr eine Bundesstraße innerorts als Führer eines Pkw. Dabei überschritt er die an der Örtlichkeit zulässige Höchstgeschwindigkeit von innerorts 50 km/h um 32 km/h. Er fuhr mit einer festgestellten Geschwindigkeit von 82 km/h. Ergänzend hat das Gericht noch festgestellt, dass Ursache der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblich ein defekter Tacho des Fahrzeugs war. Der Betroffene hätte zwar aufgrund der hohen gefahrenen Geschwindigkeit erkennen können und müssen, dass er mehr als die innerorts zulässigen 50 km/h fuhr. Die genaue Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung war für ihn jedoch nicht erkennbar. Der Betroffene hatte erst infolge des ihm bekannt gewordenen Messergebnisses sein Fahrzeug prüfen lassen. Hieraus ergab sich tatsächlich eine Unrichtigkeit des Tachometers. Bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 80 km/h wies der Tachometer zur Zeit der Prüfung nur 58 km/h aus.
2 Aus den Gründen:
" … Durch die Vorlage der Tachometerprüfung ist zum einen die Einlassung des Betroffenen glaubhaft. Zum anderen ist aber auch festzustellen, dass der Betroffene zur Tatzeit zumindest auch aufgrund seines Tachometers hätte erkennen können und müssen, dass er bei einer tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit von 82 km/h mehr als 50 km/h gefahren ist. Sein Tachometer muss nämlich zumindest die besagten 58 km/h, vielleicht auch schon 60 km/h angezeigt haben."
Dementsprechend war der Betroffene wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes nach §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, § 24 StVG zu verurteilen. Die hierfür vorgesehene Regelgeldbuße von 160 EUR war aufgrund einer Vorbelastung angemessen auf den im Tenor genannten Betrag zu erhöhen. Gegen den Betroffenen war nämlich durch die Stadt Münster am 22.12.2014 – rechtskräftig am 14.1.2015 – wegen eines Verstoßes gegen die 0,5 Promille Grenze des § 24 Buchst. a StVG eine Geldbuße von 500 EUR festgesetzt worden. Zudem wurde ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt.
Der Verstoß des Betroffenen erfüllte jedoch nicht den Regelfahrverbotstatbestand der Nr. 11.3.6 Bußgeldkatalog. Zwar ist bei der in Rede stehenden Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund des Regeltatbestandes die Begehung eines groben Pflichtenverstoßes indiziert. Hier ist jedoch diese Indizwirkung erschüttert. Wie festgestellt, lag die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblich an dem nicht korrekt funktionierenden Tachometer des Betroffenenfahrzeugs. Das Handlungsunrecht war damit herabgesetzt. Dementsprechend war eine Fahrverbotsanordnung nicht mehr möglich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO, § 46 OWiG.“
Mitgeteilt von RiAG Carsten Krumm, Lüdinghausen
3 Anmerkung:
Ein defekter Tachometer kommt nicht allzu häufig vor. Sollte dennoch einem Betroffenen dieses Problem begegnen, muss der Verteidiger es richtig einordnen. Auf der Tatbestandsseite dürfte ein Verstoß an sich kaum zu verneinen sein, jedenfalls innerorts. Insb. die Frage, ob überhaupt fahrlässiges Verhalten an den Tag gelegt wurde, ist hier klar zu bejahen gewesen. Eine Irrtumsproblematik stellt sich hier ebenfalls nicht. Wichtig ist dann die Argumentation auf der Rechtsfolgenseite: Ein Fahrverbot kann nur angeordnet werden, wenn zugleich Handlungs- und Erfolgsunwert des Verstoßes angenommen werden können. Fehlt es wie hier an der besonderen Vorwerfbarkeit des Verhaltens, ist ein Fahrverbot nicht geboten. Dies nimmt dem Gericht/der Behörde zugleich die Möglichkeit, nach § 4 Abs. 4 BKatV vorzugehen, denn wenn gar kein Fahrverbot mehr angeordnet werden kann, ist auch der Wegfall gegen Erhöhung der Geldbuße nicht möglich.
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 7/2016, S. 413 - 414