VGB 2010 § 28 (7); VVG § 93
Leitsatz
Die sog. strenge Wiederherstellungsklausel in der Wohngebäudeversicherung zielt auch auf eine Begrenzung des subjektiven Risikos des VR. Allein die Erwägung, mit der geforderten Neuwertentschädigung sei keine Bereicherung des VN verbunden, macht eine Prüfung der Voraussetzungen der Klausel nicht entbehrlich.
BGH, Urt. v. 20.4.2016 – IV ZR 415/14
Sachverhalt
Der Kl., der bei der Bekl. eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert hält, fordert nach dem Brand seines Hauses am 14.12.2010, den die Bekl. mit einer Zeitwertentschädigung i.H.v. 134.501,59 EUR reguliert hat, eine Entschädigung i.H.v. 47.268,74 EUR für den Neuwertanteil.
Dem Versicherungsvertrag liegen VGB zugrunde. In deren § 28 heißt es auszugsweise:
"(7) Sie erwerben den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil), nur, soweit und sobald Sie innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sicherstellen, dass Sie die Entschädigung verwenden werden, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen … "
Da die Wohnfläche des versicherten Hauses ausweislich eines nach dem Brand eingeholten Obmanngutachtens mit 171, 29 m2 die im Versicherungsvertrag angegebene Wohnfläche von 116 m2 überstieg, kürzte die Bekl. den vom Sachverständigen ermittelten Zeitwertschaden von 198.610,16 EUR nach § 28 Abs. 2 VGB 2010 entsprechend dem Flächenunterschied auf 134.501,59 EUR und zahlte diesen Betrag an den Kl. aus.
Dieser hat noch innerhalb von drei Jahren nach dem Brand auf seinem Grundstück mit dem Neubau eines Wohnhauses begonnen, welches infolge einer vergrößerten Wohnfläche und einer angebauten Garage eine um circa 37 % größere Grundrissfläche aufweist als das abgebrannte Haus. Eine Baugenehmigung ist inzwischen erteilt, der Kl. hat auch einen Bauvertrag nach VOB mit einem Bauunternehmen abgeschlossen, dem das Leistungsverzeichnis aus dem Obmanngutachten zugrunde liegt.
Der Kl. meint, die Voraussetzungen für die Entschädigung des Neuwertanteils zu erfüllen. Unter Zugrundelegung des im Obmanngutachten ausgewiesenen Neuwerts von 268.408,98 EUR und Berücksichtigung der von der Bekl. ermittelten Kürzungsquote (268.408,98 × 116 m2 ./. 171,29 m2) errechnet der Kl. eine Neuwertentschädigung von insgesamt 181.770,33 EUR, von der er die vorgerichtlich geleisteten 134.501,59 EUR in Abzug bringt und mithin eine restliche Klagforderung von 47.268,74 EUR erhebt.
2 Aus den Gründen:
[11] "… 1. § 28 (7) VGB 2010 enthält eine sog. strenge Wiederherstellungsklausel. Sie orientiert sich nach st. Rspr. des Senats an dem für den durchschnittlichen VN erkennbaren Zweck der Neuwertversicherung, den Schaden auszugleichen, der dem VN dadurch entsteht, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden muss, wenn er das zerstörte Gebäude wiederherstellt. Auf diesen tatsächlichen Schaden ist der Umfang des Ersatzanspruchs allerdings beschränkt. Die Neuwertversicherung soll grds. nicht auch solche Aufwendungen abdecken, die durch wesentliche Verbesserungen des Gebäudes bei seiner Wiedererrichtung verursacht wurden. Eine derartige Bereicherung des VN aus Anlass des Schadenfalles ist zu vermeiden, auch um das Interesse am Abbrennen des versicherten Gebäudes nicht zu fördern. Zweck der Wiederherstellungsklausel ist es deshalb zum einen, die Bereicherung durch die Neuwertentschädigung auf den Teil zu beschränken, der das Bedürfnis für die Neuwertversicherung begründet, also auf die ungeplanten, dem VN erst durch den Versicherungsfall aufgezwungenen Ausgaben (Senat r+s 2011, 433 Rn 16; VersR 1990, 488 unter 2 m.w.N. zu § 7 Abs. 3a VGB 62; VersR 1988, 925 unter II 1; jeweils m.w.N.)."
[12] Für den VN ersichtlich zielt die Bestimmung zum anderen aber auch auf die Begrenzung des subjektiven Risikos des VR, der davor geschützt werden soll, dass der VN – wie bei freier Verwendbarkeit der Versicherungsleistung – in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Versicherungsfalles Vermögensvorteile zu verschaffen (Senat r+s 2011, 433 Rn 16; 2004, 238 unter II 1c m.w.N.). Solche unerwünschten Vermögensvorteile können auch darin bestehen, dass der VN zwar bereit ist, die durch eine Erweiterung oder wesentliche Veränderung des Neubaus gegenüber dem Vorgängergebäude entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen, im Übrigen aber auf die Neuwertentschädigung für das abgebrannte Gebäude bei der Finanzierung des neuen Bauvorhabens zurückgreifen kann. Wollte man dem VN diesen Zugriff auf die Neuwertentschädigung für das abgebrannte Haus ungeachtet der Art und Zweckbestimmung des neu errichteten Gebäudes zur freien Verwendung gestatten, wäre auch dadurch das subjektive Risiko erhöht, weil VN dann ebenfalls versucht sein könnten, zur Teilfinanzierung eines Neubauvorhabens den Versicherungsfall vorsätzlich herbeizuführen.
[13] 2. Mit seiner Erwägung, dem Erfordernis der Wiederherstellung des Gebäudes in etwa derselben Größe sei im Streitfall schon dadurch genügt, da...