Mit Wirkung zum 1.5.2014 wurde ein neues Punktsystem unter der gesetzlichen Bezeichnung "Fahreignungs-Bewertungssystem" eingeführt. Aus dem Verkehrszentralregister wurde das "Fahreignungs-Register" (FER). Mit der Neuregelung sollte neben der Verbesserung der Verkehrssicherheit eine verbesserte Transparenz und eine Vereinfachung des Systems erfolgen. Denn insbesondere die Tilgungshemmung wie auch die Überliegefrist bereiteten in der Praxis immer wieder erhebliche Schwierigkeiten. Der Punkteabbau durch freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar um einen Punkt ist im neuen Fahreignungs-Bewertungssystem eigentlich systemwidrig, das einen Punkteabbau lediglich durch Zeitablauf vorgesehen hat. Das ist ein politisches Zugeständnis, das erst gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden ist.
Im neuen System ist keine Tilgungshemmung älterer Eintragungen mehr vorgesehen, dafür wurden die Tilgungsfristen angepasst. Fristbeginn für den Lauf der Tilgungsfrist ist die Rechtskraft einer zu einer Eintragung im FER führenden Entscheidung (§ 29 Abs. 4 StVG).
Jedoch ist für die Berechnung des Punktestandes, der zur Verhängung einer der in § 4 Abs. 5 StVG genannten Maßnahmen führt, ausdrücklich das Tattagprinzip genannt (§ 4 Abs. 2 S. 3 StVG). Die Fahrerlaubnisbehörde muss damit wieder mit zwei unterschiedlichen Fristen arbeiten. Das ist keine Vereinfachung.
In der Regel erfahren die Straßenverkehrsbehörden erst nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens von einer Registereintragung. Mit Wirkung zum 5.12.2014 wurde festgelegt, dass nur die Zuwiderhandlungen, die im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme der Behörde bekannt waren, von der Maßnahmenstufe umfasst sind (§ 4 Abs. 6 S. 4 StVG). Die Neuregelung ist eine bewusste Abkehr von der Rechtsprechung, die alle im Zeitpunkt einer Maßnahme begangenen – auch der Behörde nicht bekannten Zuwiderhandlungen – von dieser Maßnahme erfassen ließ. Damit soll dem Auseinanderfallen von Tatzeitpunkt und Bekanntwerden bei der Behörde begegnet werden. Das ist am besten mit dem Begriff des "eingeschränkten Tattagprinzips" bezeichnet. Somit werden bereits begangene, der Behörde aber noch nicht bekannte Taten nicht von einer getroffenen Maßnahme erfasst und erhöhen damit den Punktestand. Das führt in der Praxis zu mehreren Problemen.
I. Keine Wirkung des eingeschränkten Tattagprinzips bereits ab 1.5.2014
Es ist fraglich, ob die dargestellte Gesetzesänderung nur klargestellt hat, was bei Inkrafttreten des neuen Fahreignungs-Bewertungssystems schon bestanden hat – mit der Konsequenz, dass von dieser Regelung alle Entscheidungen erfasst werden – oder ob es sich um eine Neuregelung handelt, die erst ab dem 5.12.2014 Geltung hat. Die Auffassung, dass das durch die Kenntnis der Behörde eingeschränkte Tattagprinzip bereits mit der Neufassung des Punktsystems zum 1.5.2014 beabsichtigt sein sollte, ist abzulehnen. Die in den Gesetzgebungsmaterialien angegebene bloße Klarstellungsfunktion dieser Regelung trifft nicht zu. Weder dem Wortlaut der Regelung der Neufassung des Punktsystems mit Wirkung zum 1.5.2014 noch den Gesetzgebungsmaterialien zur Neufassung des Punktsystems lässt sich entnehmen, dass das Tattagprinzip mit der Maßgabe gelten soll, dass nur die im Zeitpunkt des Ergreifens einer Maßnahme der Behörde bekannt gewordenen Zuwiderhandlungen von der Wirkung der Maßnahme erfasst werden. Insbesondere fehlt jeglicher Hinweis, dass die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Einbeziehung aller im Zeitpunkt einer Maßnahme begangenen Zuwiderhandlungen durch die Neufassung des Punktsystems schon zum 1.5.2014 nicht mehr Anwendung finden soll. Daher kann diese Modifizierung erst mit dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 28.11.2014 am 5.12.2014 Wirkung entfalten.
Weiter stellt sich die Frage, ob diese Verschärfung als solche verfassungsrechtlichen Grenzen begegnet. Eine "unechte Rückwirkung" oder "tatbestandliche Rückanknüpfung" kann dann angenommen werden, wenn eine Zuwiderhandlung vor dem Inkrafttreten der Änderung am 5.12.2014 begangen, aber erst danach der Behörde bekannt wird. Denn durch die dargestellte Neuregelung wird die bei Begehung der Tat geregelte Rechtsfolge nachträglich geändert. Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Ausnahmsweise ist sie unzulässig, wenn der Betroffene mit einer Neuregelung nicht zu rechnen brauchte oder wenn das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdiger als die mit dem Gesetz verfolgten Anliegen ist. Das Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Vorschriften ist aber regelmä...