StVG § 2 Abs. 8 3 Abs. 1 S. 1, S. 3 4 Abs. 1 S. 1; FeV § 11 Abs. 7 § 13 S. 1 § 14 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 3 § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; FeV Anlage 4 Nr. 8.1 und 9.2.2
Leitsatz
Bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten kann die Fahrerlaubnisbehörde nach einer erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kfz unter der Wirkung von Cannabis grds. nicht gem. § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kfz ausgehen. Vielmehr sieht § 14 Abs. 1 S. 3 FeV hierfür die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege vor.
BayVGH, Urt. v. 25.4.2017 – 11 BV 17.33
Sachverhalt
Der Kl. wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und beantragt, das Urt. des VG München v. 21.11.2016 – M 26 K 15.1494 – und den Bescheid des Landratsamts S. v. 4.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern v. 18.3.2015 aufzuheben. Dem Führerscheinentzug war eine einmalige Autofahrt des 1994 geborenen Kl. unter Cannabiseinfluss vorausgegangen, die als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von 500 EUR und einem Monat Fahrverbot geahndet wurde.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis hatte das Landratsamt damit begründet, dass der Kl., der gelegentlich Cannabis konsumiert hat, zum Führen von Kfz ungeeignet sei, weil er den Konsum von Cannabis vom Führen eines Kfz nicht trennen könne. Eine medizinisch-psychologische Untersuchung oder sonstige weitere Aufklärungsmaßnahmen erfolgten nicht.
2 Aus den Gründen:
[14] "… Die Berufung des Kl. ist begründet. Der Bescheid v. 4.12.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids v. 18.3.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kl. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Der Kl. ist zwar gelegentlicher Cannabiskonsument und hat den Konsum von Cannabis einmal nicht vom Führen eines Kfz getrennt. Damit steht aber nicht fest, dass er ungeeignet zum Führen von Kfz ist. Das Urt. des VG und die Behördenentscheidungen sind daher aufzuheben."
[15] 1. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (BVerwG, Urt. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13, [zfs 2015, 173 =] NJW 2015, 2439, Rn 13). Nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG v. 5.3.2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz v. 2.3.2015 (BGBl I S. 186), und § 46 Abs. 1 S. 1 FeV v. 13.12.2010 (FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung v. 16.12.2014 (BGBl I S. 2213), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kfz erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kfz ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).
[16] Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 liegt Kraftfahreignung bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis vor, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Nach § 14 Abs. 1 S. 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a StVG begangen wurden. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens.
[17] 2. Der Kl. ist gelegentlicher Cannabiskonsument i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4. Gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt vor, wenn der Betroffene in zwei oder mehr selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (st. Rspr., zuletzt BVerwG, Urt. v. 23.10.2014 a.a.O., Rn 20 ff.; BayVGH, Beschl. v. 18.4.2016 – 11 ZB 16.285, juris Rn 11). Der Kl. hat zugestanden, dass er in zeitlichem Zusammenhang zu der Fahrt unter Cannabiseinfluss ein weiteres Mal Cannabis eingenommen hatte.
[18] 3. Der Kl. hat auch einmal gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 verstoßen. Gemäß dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum U. v. 9.5.2014 hat er mit einer Konzentration von 3,7 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC), 55,2 ng/ml THC-Carbonsäure (THC-COOH) und 1,9 ng/ml 11Hydroxy-THC (11-OH-THC) im Blut am Straßenverkehr teilgenommen. Dabei war eine durch den Drogeneinfluss bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2014 a.a.O., Rn 28 ff.). Dieser Sachverhalt steht aufgrund der rechts...