OWiG § 29a
Leitsatz
Bei einem unter Verstoß gegen deutsche Straßenverkehrsvorschriften durchgeführten internationalen Transport kann – bei Vorliegen der sonstigen hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach § 29a OWiG – der Verfall in Höhe des gesamten Transportlohns angeordnet werden.
BGH, Beschl. v. 10.4.2017 – 4 StR 299/16
Sachverhalt
I. 1. Das AG Nordhorn hat durch Urt. v. 21.1.2016 gegen die Verfallsbeteiligte den Verfall eines Betrages von 2.300 EUR angeordnet.
Die Verfallsbeteiligte ist eine juristische Person mit Sitz in Polen, welche Speditionsleistungen erbringt. Ein Mitarbeiter der Verfallsbeteiligten befuhr am Sonntag, den 7.6.2015, gegen 11:30 Uhr mit einem Fahrzeug nebst Auflieger die BAB 30 in Fahrtrichtung Niederlande. Er führte in Ausübung seiner Tätigkeit für die Verfallsbeteiligte eine Transportfahrt von C. (Polen) über die Bundesrepublik Deutschland nach J. (Spanien) durch. Bei einer Kontrolle in S. konnte der Fahrer eine gültige Ausnahmegenehmigung für die Durchführung des Transports an einem Sonntag nicht vorlegen. Nach der Kontrolle und Erbringung einer Sicherheitsleistung setzte er die Fahrt am selben Tag fort. Die Verfallsbeteiligte vereinnahmte für den Transport von C. nach J. einen Lohn von 2.300 EUR netto.
Gegen das Urteil hat die Verfallsbeteiligte Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie macht geltend, dass der Transportlohn nur teilweise i.S.v. § 29a OWiG erlangt sei, und zwar entsprechend dem Anteil der Fahrtstrecke in der Bundesrepublik Deutschland an der Gesamtstrecke.
Das OLG Oldenburg hat die Sache dem mit drei Richtern besetzten Bußgeldsenat zur Entscheidung übertragen. Dieser hat die Sache durch Beschl. v. 9.6.2016 dem BGH vorgelegt.
2. Das OLG Oldenburg beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Es ist der Ansicht, dass der gesamte Transportlohn von 2.300 EUR durch den Verstoß gegen das Sonntagsfahrverbot unmittelbar erlangt worden sei, da ohne diesen Verstoß der Transport – so wie geschehen – nicht hätte durchgeführt werden können.
Das OLG Oldenburg sieht sich an der beabsichtigten Zurückweisung der Rechtsbeschwerde durch den Beschl. d. OLG Braunschweig v. 21.12.2015 (1 Ss (OWi) 165/15, wistra 2016, 124) gehindert.
3. Das OLG Oldenburg hat daher die Sache durch Beschl. v. 9.6.2016 dem BGH zur Entscheidung folgender Frage vorgelegt:
"Ist bei einem internationalen Transport, der unter Verstoß gegen deutsche Straßenverkehrsvorschriften durchgeführt worden ist (hier: Bestimmungen über das Sonn- und Feiertagsfahrverbot), bei der Bestimmung des Erlangten i.S.d. § 29a Abs. 1 OWiG auf den gesamten Transportlohn oder nur auf den sich rechnerisch für die inländische Fahrtstrecke ergebenden Transportlohn abzustellen?"
4. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Vorlegungsfrage im Sinne der Rechtsauffassung des vorlegenden OLG zu beantworten, wonach auf den gesamten Transportlohn abzustellen ist.
2 Aus den Gründen:
[9] "II. Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG sind erfüllt. Die Vorschrift des § 121 Abs. 2 GVG ist gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG für die Rechtsbeschwerde entsprechend heranzuziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.9.2013 – 4 StR 503/12, BGHSt 59, 4, 8; Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 79 Rn 38)."
[10] a) Die vorgelegte Rechtsfrage ist von entscheidungserheblicher Bedeutung.
[11] Da die Verfallsbeteiligte den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zulässigerweise auf die Rechtsfolge – die Höhe des Verfallsbetrages – beschränkt hat, steht es der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen, dass sich das erstinstanzliche Urteil nicht zu der Frage verhält, ob einer der gesetzlichen Ausnahmetatbestände zum Sonntagsfahrverbot nach § 30 Abs. 3 S. 2 StVO vorlag.
[12] Der Zulässigkeit der Vorlage steht auch nicht entgegen, dass sich das erstinstanzliche Urteil nicht damit auseinandersetzt, inwiefern für den in Rede stehenden Transport eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 StVO hätte erteilt werden können und inwiefern die ersparten Kosten für das Genehmigungsverfahren als erlangtes Etwas i.S.v. § 29a OWiG in Betracht kommen. Bei einem Verstoß gegen ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt – ein solches stellt das Sonntagsfahrverbot dar (vgl. Janker/Hühnermann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., 2016, § 46 StVO Rn 1; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 30 StVO Rn 15) – kommen die ersparten Kosten des Genehmigungsverfahrens grds. nicht als erlangtes Etwas in Betracht, da das bußgeldbewehrte Verhalten ohne tatsächlich erteilte Genehmigung nicht nur formell, sondern materiell rechtswidrig ist und die hypothetische Ermessensausübung der Verwaltungsbehörde nicht im Bußgeldverfahren ersetzt werden kann (OLG Celle, NZV 2013, 610, 611; OLG Hamburg, NStZ 2014, 340, 342; OLG Schleswig, Beschl. v. 20.6.2016 – 2 Ss OWi 52/16 (37/16), juris Rn 15; Louis in: Blum/Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz, § 29a Rn 24; Deutscher in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., Rn 4...