BGB § 123 Abs. 1 § 142 Abs. 1 § 241 Abs. 2 § 280 Abs. 1 § 282 § 311 Abs. 2 § 812 Abs. 1
Leitsatz
1. Ein Vertragshändler, der als Konzerntochter des Herstellers durch sein Auftreten als 100 %-ige Konzerntochter besonderes Vertrauen in Anspruch genommen hat, muss sich etwaiges arglistiges Verhalten des Herstellers bezüglich der falschen Angaben zum Schadstoffausstoß als arglistige, ihm zuzurechnende Täuschung entgegenhalten lassen, so dass eine Anfechtung seines Kaufvertrags mit einem Käufer des hergestellten Fahrzeugs möglich ist.
2. Das Ausmaß des verschwiegenen Mangels ist für die Frage der Anfechtungsmöglichkeit ohne Bedeutung.
3. Ist die gesetzte Frist zur Nachbesserung unangemessen kurz bemessen, tritt an ihre Stelle eine Frist von allenfalls zwei Monaten.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG München I, Urt. v. 14.4.2016 – 23 O 23033/15
Sachverhalt
Der Kl. kaufte von der Bekl., einer 100 %-igen Konzerntochter der Herstellerin, ein Kfz, wobei im Verkaufsgespräch der Bekl. mit dem Kl. objektiv unrichtige Angaben zum Stickstoffausstoß gemacht wurden. Die Herstellerin hatte die Manipulation der Stickstoffwerte eingeräumt. Die Bekl. hatte im Internet damit geworben, eine 100 %-ige Tochter der Herstellerin zu sein und damit Teil des erfolgreichsten europäischen Automobilherstellers.
Der Kl. erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags mit der Begründung, dass sich die Bekl. das von ihm angenommene arglistige Verhalten des Herstellers zurechnen lassen müsse.
Dem folgte das LG, das hilfsweise die Rücktrittsmöglichkeit des Kl. von dem Kaufvertrag bejahte.
2 Aus den Gründen:
" … Die Klage ist zulässig und begründet, weil dem Kl. ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags nach Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zusteht, §§ 812 Abs. 1, 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB, nebst Anspruch auf Ersatz der weiteren Schäden nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 282 BGB. Darauf, dass der Kl. auch einen nachrangigen Anspruch wegen wirksamen Rücktritts vom Kaufvertrag hat, kommt es daher bereits nicht mehr an."
I. 1. Der Kl. hat den Kaufvertrag mit Schriftsatz v. 2.3.2016 wirksam angefochten wegen arglistiger Täuschung der Bekl. Die Bekl. hat selbst eingeräumt, dass ihre Angaben zum Schadstoffausstoß objektiv unrichtig waren. Jedenfalls für die Stickoxidwerte (NOx) steht aufgrund des Herstellerschreibens v. 15.2.2016 fest, dass sie durch eine Software im Vergleich zwischen Prüfstandlauf und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden. Auch die Bekl. hat lediglich in Abrede gestellt, dass Abweichungen bei den CO2-Werten bestehen würden. Ob die Angaben hierzu ebenso unrichtig waren, kann insofern dahingestellt bleiben, weil jedenfalls der Ausstoß von Stickoxidwerten unrichtig angegeben wurde.
Arglist erfordert dabei wenigstens bedingten Vorsatz, jedoch keine Absicht oder Schädigungsvorsatz. Der Bekl. ist dabei nach der freien Überzeugung des Gerichts das Wissen der V AG zuzurechnen. Soweit die Bekl. vorträgt, die V AG sei nur indirekt an ihr über mehrere zwischengeschaltete Gesellschaften beteiligt, steht dies im Widerspruch zu ihrer Unternehmensbeschreibung im Internet. Danach gehört die Bekl. zur österreichischen P als Mitglied des V-Konzerns. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil die Bekl. jedenfalls über eine durchgehende Beteiligungskette zum V-Konzern gehört, über die das Wissen zuzurechnen ist.
Jedenfalls muss sich die Bekl. aber aus Gründen des Rechtsscheins als 100 %-ige Konzerntochter behandeln und das Wissen der V AG zurechnen lassen. Die Bekl. hat durch ihr Auftreten besonderes Vertrauen als Konzerntochter in Anspruch genommen. Dabei kann dahinstehen, ob hierfür der Auftritt als S-Vertragshändler mit prominenter Verwendung des V Logos im Auftritt ihrer Geschäftsräume ausreicht. Jedenfalls aber wirbt die Bekl. in ihrem Internetauftritt unter der Überschrift “Gemeinsame Wurzeln' wie folgt: “Seit 1.3.2011 ist die P eine 100 %-Tochter der V AG und somit Teil des erfolgreichsten europäischen Automobilherstellers.' Damit hat die Bekl. bewusst nach außen werbend besonderes Vertrauen als 100 %-ige V-Tochter in Anspruch genommen. Daran muss sie sich nun auch festhalten lassen, soweit die V AG bewusst unrichtige Angaben zu Schadstoffemissionen des streitgegenständlichen Motors gemacht hat, die unstreitig Gegenstand der Anpreisungen des Verkaufsmitarbeiters der Bekl. waren. Diese waren auch unstreitig mitursächlich für die Kaufentscheidung des Kl. Dies gilt umso mehr, als der Verkäufer der Bekl. unbestritten als seit Jahren von V erprobt beworben hat. Nach dem objektiven Empfängerhorizont lag damit keine bloße Bezugnahme auf Herstellerangaben vor, deren Richtigkeit sich der Kenntnis der Bekl. entzog, sondern die Bekl. machte die Herstellerangaben als 100 %-ige V-Tochter und damit Mitglied des “Unternehmens V' bzw. des “V-Konzerns'.
2. Der Anfechtung steht auch nicht das Ausmaß des Mangels entgegen. Unabhängig davon, dass der Mangel nicht unerheblich ist, kommt es für die Anfechtung nur auf die Täuschung und deren Ursächlichkeit bei der Willensbildung an. Im Übrigen wäre es t...