MB/KT 2008 § 4 Nr. 1
Leitsatz
1. Zur Auslegung einer Karenzzeitregelung in den Tarifbedingungen einer Krankentagegeldversicherung.
2. Für Zeiten von Belastungserprobungen, in denen der VN seiner beruflichen Tätigkeit nachgeht, besteht kein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld.
3. Knüpft der Lauf einer Karenzzeitregelung an den Versicherungsfall an und endet die Arbeitsunfähigkeit trotz fortbestehender Behandlungsbedürftigkeit, so ist das Krankentagegeld bei erneuter Arbeitsunfähigkeit ohne Anrechnung einer Karenzzeit zu zahlen.
(Leitsätze 2 und 3 der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 9.5.2018 – IV ZR 23/17
Sachverhalt
Der Kl., ein selbstständiger Psychotherapeut, nimmt die Bekl. aus einer Krankentagegeldversicherung auf Leistung für zwischen den Parteien streitige Karenztage in Anspruch.
Dem Versicherungsvertragsverhältnis Lagen die MB/KT 2008 in Verbindung mit den Tarifbedingungen (im Folgenden: TB) und dem Krankentagegeld-Tarif (im Folgenden: TH 3) zugrunde. Vereinbart waren ein Krankentagegeld i.H.v. 135 EUR pro Kalendertag und eine Karenzzeit von drei Tagen. In den AVB und TB heißt es u.a.
"§ 1 MB/KT 2008: Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes"
(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. Eine während der Behandlung neu eingetretene und behandelte Krankheit oder Unfallfolge, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, begründet nur dann einen neuen Versicherungsfall, wenn sie mit der ersten Krankheit oder Unfallfolge in keinem ursächlichen Zusammenhang steht. (…)
Nr. 3 TB: Leistungsvoraussetzungen, (…)
(1) Krankentagegeld wird für die nach Ablauf der Karenzzeit noch bestehende Dauer einer Arbeitsunfähigkeit gezahlt, in der die versicherte Person nach medizinischem Befund völlig arbeitsunfähig ist und keinerlei, auch nicht teilweiser Erwerbstätigkeit nachgeht.
§ 4 MB/KT 2008: Umfang der Leistungspflicht
(1) Höhe und Dauer der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen.
Nr. 8 TB: Leistungsdauer
(1) Das versicherte Krankentagegeld wird von dem im Tarif festgelegten Zeitpunkt – Ablauf der Leistungsfreien Tage (Karenzzeit) – an gezahlt, soweit der Tarif nichts anderes vorsieht.
(2) Bei Arbeitnehmern werden Zeiten wiederholter Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung bzw. derselben Unfallfolgen, die der Arbeitgeber bei der Fortzahlung des Entgelts zusammenrechnen darf, auch hinsichtlich der Karenzzeit zusammengerechnet.
(3) Bei selbstständig Tätigen werden Zeiten wiederholter Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung bzw. derselben Unfallfolgen hinsichtlich der Karenzzeit zusammengerechnet, wenn zwischen den jeweiligen Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht mehr als 28 Tage liegen. Eine Anrechnung erfolgt nur bei Tarifen mit mindestens 21 Karenztagen. (…)
Tarif/Klasse TH 3
Leistungen des VR: Nach Ablauf von drei leistungsfreien Tagen seit Beginn des Versicherungsfalls wird das versicherte Krankentagegeld ohne zeitliche Höchstgrenze bis zum Ende vorübergehender Arbeitsunfähigkeit gezahlt. (…)“
Der Kl. litt seit November 2008 an einer depressiven Erkrankung. Er war zwischen dem 12.11.2008 und 10.8.2010 durchgehend in ambulanter Behandlung. Der behandelnde Arzt attestierte ihm unter dem 20.7.2011, dass er – mit kurzen Unterbrechungen – seit dem 11.11.2008 arbeitsunfähig sei, wobei an im Attest aufgeführten einzelnen Tagen "Belastungserprobungen" erfolgt seien, das zur Arbeitsunfähigkeit führende Grundleiden aber auch an diesen Tagen weiterhin bestanden habe. An den genannten Tagen ging der Kl. seiner Tätigkeit als Psychotherapeut nach und rechnete die durchgeführten Behandlungen gegenüber seinen Patienten ab.
Die Bekl. erbrachte im oben genannten Zeitraum Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung. Soweit der Kl. anlässlich der "Belastungserprobungen" als Psychotherapeut tätig gewesen war, leistete sie für diese Tage bzw. Zeiträume nicht. Außerdem erbrachte sie keine Leistungen für nach ihrer Ansicht im Anschluss jeweils erneut angefallene Karenztage. Für diese insgesamt 32 Karenztage hat der Kl. die Zahlung von Krankentagegeld i.H.v. 4.320 EUR begehrt.
2 Aus den Gründen: , …
"… I. Das BG hat – soweit für die Revision von Bedeutung – ausgeführt, der Kl. habe für die Dauer von drei Tagen nach der erstmals am 1.12.2008 durchgeführten sog. Belastungserprobung keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen aus dem Versicherungsvertrag. Er sei insoweit seiner beruflichen Tätigkeit als Psychotherapeut nachgegangen und habe Patienten behandelt. Die Ausübung dieser entgeltlichen Tätigkeit genüge, um die seit dem 11.11.2008 bestehende bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit zu unterbrechen. Hierfür sei nicht erforderlich, dass auch der Versicherungsfall geendet habe."
Die Unterbrechung der Arbeitsunfä...