Oft lösen Entscheidungen zum abgelehnten Anspruch des Betroffenen auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen Kopfschütteln aus, wenn nämlich das jeweilige OLG die Gründe des Amtsgerichts zitiert, warum eine Präsenz des Betroffenen doch unbedingt erforderlich gewesen sein soll. Folgestreitpunkte sind zudem, wer den Antrag stellen darf und wann dies zu geschehen hat (siehe dazu unten E.). Fehlerhafte Ablehnungen bergen zudem das Folgeproblem der Befangenheit des Richters.
Vielfach wurde bei Geschwindigkeitsverstößen konstatiert, dass nach dem Zugeständnis der Halter-/Fahrereigenschaft und der Erklärung, keine weiteren Angaben machen zu wollen, der Betroffene auf Antrag von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden ist. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Betroffenen steht dabei nicht im freien Ermessen des Gerichts, sondern ist an das Erfordernis gebunden, dass diese Maßnahme zur Sachaufklärung erforderlich ist. Die nur vage Hoffnung, der zum Schweigen entschlossene Betroffene könne bei Anwesenheit in der Hauptverhandlung (vielleicht) doch anderen Sinnes werden, darf nicht zur Ablehnung des Entbindungsantrags führen. Auch die Möglichkeit, dass sich Zeugen an ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten eines Betroffenen im Straßenverkehr besser oder überhaupt erst erinnern, wenn sie den Betroffenen in der Hauptverhandlung sehen, genügt nicht zur Ablehnung eines Entbindungsantrags. Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung kann allerdings dann zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des berechtigterweise schweigenden Betroffenen genügt. Die bloße Absicht des Gerichts, eine Verfahrensverbindung vornehmen zu wollen, berührt vor ihrer tatsächlichen Umsetzung nicht die gerichtliche Pflicht, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Einen Anlass, das persönliche Erscheinen des Geschäftsführers der Verfallsbeteiligten zu erzwingen, gibt es zudem nicht, nur weil eine Verfallsbeteiligte ihre Einlassung im Laufe eines Verfahrens ändert: Dies berührt nicht das weiterhin bestehende Recht, im Termin keine Angaben zur Sache zu machen.
Die Entbindung von der Erscheinenspflicht kann auch konkludent erfolgen.
Die Erklärung des Betroffenen, er "wolle" nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen, kann als Entbindungsantrag auszulegen sein. Die Nichtbescheidung eines solchen Entbindungsantrags steht dann regelmäßig dem Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG entgegen und kann mit der Gehörsrüge auch im Zulassungsverfahren die Rechtsbeschwerde begründen. Wenn sich der Betroffene zuerst eingelassen hat und später ein erstes oder nach Ablehnung wiederholtes Entbindungsgesuch stellt, ist ein erneuter Sachvortrag nicht in diesem Gesuch erforderlich, wenn aus der Akte die Einlassung ersichtlich ist.
Wenn ein Richter dann doch den eigentlich begründeten Entbindungsantrag des Betroffenen ablehnt, kann dies die Annahme von Besorgnis der Befangenheit begründen. Hat der Betroffene z.B. durch zwei Anträge auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung deutlich gemacht, dass er sich zur Sache nicht einlassen werde und ist in der Hauptverhandlung nur noch eine Rechtsfrage zu erörtern, so erscheint die Aufrechterhaltung der Pflicht zum persönlichen Erscheinen aus der Sicht des 570 km entfernt wohnhaften Betroffenen unverhältnismäßig und geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu begründen.