[6] … I. Das BG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Das LG habe die Klage gegen die Bekl. zu 1) verfahrensfehlerhaft durch Teilurteil abgewiesen. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils nach § 301 Abs. 1 ZPO lägen nicht vor, weil die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bestehe. Auch für die Haftung der Bekl. zu 1) sei entscheidend, ob die Bekl. zu 2) oder, im Fall der Übertragung, der Streithelfer die ihnen hinsichtlich des Bahnsteigs obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hätten. Dies unterstellt, komme entgegen der Auffassung des LG eine Haftung der Bekl. zu 1) nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB wegen der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht in Betracht. Aus dem Beförderungsvertrag folge die Pflicht des Eisenbahnverkehrsunternehmens, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleide. Auch nach der Bahnstrukturreform beginne diese Pflicht nicht erst mit dem Einsteigen und ende nicht mit dem Aussteigen, sondern umfasse ebenso den gefahrlosen Zugang und Abgang. Das Eisenbahnverkehrsunternehmen treffe die vertragliche Nebenpflicht, die dazu erforderlichen Bahnanlagen, insb. die Bahnsteige, verkehrssicher zu halten. Werde diese Infrastruktur durch Dritte zur Verfügung gestellt, bediene sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen dieser Dritten als Erfüllungsgehilfen und müsse sich ein etwaiges Fehlverhalten gem. § 278 BGB zurechnen lassen.
[7] II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
[10] 2. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist aufgrund eines Personenbeförderungsvertrags verpflichtet, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleidet. Dies betrifft zunächst den eigentlichen Beförderungsvorgang zwischen Ein- und Aussteigen. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist aufgrund eines Beförderungsvertrags darüber hinaus aber auch verpflichtet, dem Fahrgast einen sicheren Zu- und Abgang zu ermöglichen. Wird diese vertragliche Nebenpflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB. Werden die Bahnanlagen, die der Fahrgast für den Zu- und Abgang benutzen muss, durch ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen bereitgestellt, bedient sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen des Infrastrukturunternehmens als Erfüllungsgehilfen und hat dessen Verschulden in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB).
[11] a) Vor der Eisenbahnstrukturreform war in der Rspr. anerkannt, dass das Eisenbahnunternehmen aufgrund des Beförderungsvertrags verpflichtet ist, für einen sicheren Zugang und Abgang des Fahrgastes zu sorgen, insb. von ihm bereitgestellte Anlagen wie Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung benutzen muss, verkehrssicher zu halten (RG, Urt. v. 15.3.1915 – VI 599/14, RGZ 86, 321, 322; RG, Urt. v. 30.10.1929 – VI 318/29, RGZ 126, 137, 141 f.; BGH, Urt. v. 16.4.1959 – II ZR 164/57, NJW 1959, 1366; BGH, Urt. v. 24.11.1969 – III ZR 111/69, VersR 1970, 179 f.). Hieran hat sich durch die rechtliche Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27.12.1993 (BGBl I S. 2378, 1994 I S. 2439) nichts geändert. Dies entspricht auch der im Schrifttum vertretenen Auffassung (Filthaut, Haftpflichtgesetz, 8. Aufl., § 12 Rn 122 ff., 133; Roth, in: MüKo-BGB, 5. Aufl., § 241 Rn 103; Tavakoli, Privatisierung und Haftung der Eisenbahn, Baden-Baden 2001, S. 324 f., 335; Führich, Reiserecht, 5. Aufl., Rn 1140; Pohar, Rechtsbeziehungen zwischen Fahrgast und Eisenbahn, Jena 2006, S. 102; Böhm, Haftung von Eisenbahnunternehmen, Hamburg 2008, S. 85 f.).
[12] b) Mit der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur wurden diese Teilbereiche dauerhaft verselbstständigt und den einzelnen Bahnbetriebsunternehmern ein jeweils eigenständiger Gefahrenkreis zugeordnet, für den jeder im Verhältnis der Bahnbetriebsunternehmer untereinander eigenständig die Verantwortung trägt (BGH, Urt. v. 17.2.2004 – VI ZR 69/03, BGHZ 158, 130, 137 f.). Trotz dieser Trennung verfügen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen aber gemeinsam über den Eisenbahnbetrieb; ein reibungsloser Bahnverkehr ist nur durch ihr Zusammenwirken zu erreichen. Inhalt und Umfang der aus einem Eisenbahnbeförderungsvertrag folgenden Pflichten sind deshalb selbstständig zu bestimmen. Die vertraglichen Nebenpflichten der Parteien eines Eisenbahnbeförderungsvertrags beschränken sich nicht auf die Zeit zwischen Ein- und Aussteigen, sondern umfassen die gesamte Abwicklung der Beförderung, d.h. auch die notwendige Benutzung der Eisenbahninfrastruktur, die der eigentlichen Beförderungsleistung vorangeht oder ihr nachfolgt. Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus. So ist der Fahrgast aufgrund der Beförderungsbedingungen verpflichtet, Fahrausweise nach Beendigung der Fahrt bis zum Verlassen des Bahnsteigs einschließlich der Zu- und Abgänge aufzubewahren, § 9 Abs. 3 Buchst. b Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) vom 20.4.1999 (BGBl I S. 782)....