Das von der EG erstrebte Ziel, die monopolistisch betriebenen Eisenbahnnetze für den Wettbewerb zu öffnen, hat zu einem dualistisch verstandenen Eisenbahnbegriff geführt. Der Eisenbahninfrastrukturunternehmer ist zuständig für den Gleisbetrieb, das Eisenbahnverkehrsunternehmen für den Fahrverkehr durch Einsatz von Fahrzeugen. Eisenbahnbeförderungen werden aufgrund von Nutzungsverträgen durchgeführt, die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) abgeschlossen haben (vgl. Filthaut, NZV 2012, 228; ders., VersR 2001, 348; Regine Tschersich, VersR 2003, 962; vgl. auch Art. 5 und 11 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27.12.1993 (BGBl I S. 2378, 2397).
1. Diese Aufspaltung von Bereitstellung der Infrastruktur und Zurverfügungstellung von Transportmitteln warf die Frage auf, ob bei einer Schädigung von Fahrgästen auf dem Weg zum Zug sowohl eine Haftung der EVU und der EIU als Bahnbetriebsunternehmer i.S.d. § 11 Haftpflichtgesetz anzunehmen ist. Das EVU hatte einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zur Benutzung der Eisenbahninfrastruktur (§ 14 Abs. 1 S. 1 AEG). Organisatorisch hat der DB-Konzern als EVU die DB Reise & Touristik AG, die DB Regio AG und die DB Cargo AG, als EIU die DB Netz AG und die DB Station & Service AG gegründet, der Zugang anderer EVU wird durch die Eisenbahninfrastruktur-VO (BGBl 1997 I 3153; vgl. auch Eiermann, NJW 1998, 1846; Filthaut, VersR 2001, 1346, 1349) geregelt.
2. Sowohl das EVU wie das EIU werden als Bahnbetriebsunternehmer i.S.d. § 11 Haftpflichtgesetz und damit der Gefährdungshaftung unterstellt (vgl. BGH VersR 2004, 612; BGH NJW 2008, 126; Filthaut, VersR 2001, 1340, 1351; Diederichsen, DAR 2005, 301, 305). Die einleuchtende, auch auf die Entstehungsgeschichte des Allgemeinen Eisenbahngesetzes abstellende Begründung des BGH ging davon aus, dass der Gesetzgeber mit der Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur nicht beabsichtigt habe, die Rechtsstellung der mit den Leistungen beider Unternehmen in schädigenden Kontakt kommender Geschädigter zu verschlechtern. Da Beförderungsverträge ausschließlich zwischen Fahrgast und EVU abgeschlossen werden, kann eine Haftung des EIU nur wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bestehen, die dann ausscheidet, wenn das EIU die Streupflicht – deren Missachtung die Schädigung des Fahrgastes hervorrief – zulässig delegiert und überwacht hatte (vgl. zu deren Voraussetzungen BGH NJW 1996, 2646; BGHZ 143, 227; BGH NJW-RR 1989, 2646; OLG Frankfurt NJW-RR 1999, 352). Indem der BGH sowohl die Verkehrssicherung auf den Bahnsteigen als vertragliche Nebenpflicht des EVU gegenüber dem Fahrgast einordnet und vor allem das EIU als hierzu eingeschalteten Erfüllungsgehilfen ansieht, wird der umfassende Schutz des Fahrgastes in dem geschützten Zeitraum der Benutzung des Bahnsteiges erreicht.
RiOLG a.D. Heinz Diehl