BGB § 280 Abs. 1 § 241 Abs. 2, § 278
Leitsatz
1. Auch nach der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27.12.1993 (BGBl I S. 2378, 1994 I S. 2439) ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund eines Beförderungsvertrags verpflichtet, diejenigen Bahnanlagen wie Bahnhöfe und Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung benutzen muss, verkehrssicher bereitzustellen. Wird diese vertragliche Nebenpflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB.
2. Werden die Bahnanlagen, die der Fahrgast für den Zu- und Abgang benutzen muss, durch ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen bereitgestellt, bedient sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen des Infrastrukturunternehmens als Erfüllungsgehilfen und hat dessen Verschulden in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB).
BGH, Urt. v. 17.1.2012 – X ZR 59/11
Sachverhalt
Die Kl. hat die Verurteilung der Bekl. wegen eines Sturzes aufgrund von Glatteis auf einem Bahnsteig zur Leistung von Schmerzensgeld, Schadensersatz und der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden wegen der durch den Sturz zugezogenen Verletzungen verfolgt. Die Kl. erwarb bei der Bekl. zu 1), die Eisenbahnverkehrsleistungen im Fernverkehr erbringt, einen Fahrausweis für eine Fahrt mit dem ICE. Auf dem Weg zum Zuge stürzte die Kl. auf dem Bahnsteig des Bahnhofs, dessen Eigentümerin die DB Station & Service AG ist. Diese hatte die Reinigung und den Winterdienst der Bekl. zu 2) übertragen. Die Bekl. zu 2) hat behauptet, ihrerseits den Winterdienst auf den Streithelfer übertragen zu haben. Wegen der durch den Sturz erlittenen Verletzungen nahm die Kl. zunächst die DB Station & Service AG in Anspruch. Das LG wies diese Klage mit der Begründung ab, die DB Station & Service AG habe die ihr obliegende Räum- und Streupflicht auf die Bekl. zu 2) übertragen. Pflichtverletzungen seien ihr nicht vorzuwerfen. Das LG hat die Klage gegen die Bekl. zu 1) durch Teilurteil abgewiesen. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien und des Streithelfers hat das LG sodann das Ruhen des Verfahrens im Verhältnis der Kl. zur Bekl. zu 2) angeordnet. Auf die Berufung der Kl. hat das BG das Teilurteil und das Verfahren aufgehoben, die Sache an das LG zurückverwiesen und die Revision zugelassen. Die Revision der Bekl. zu 1) hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[6] … I. Das BG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Das LG habe die Klage gegen die Bekl. zu 1) verfahrensfehlerhaft durch Teilurteil abgewiesen. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils nach § 301 Abs. 1 ZPO lägen nicht vor, weil die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bestehe. Auch für die Haftung der Bekl. zu 1) sei entscheidend, ob die Bekl. zu 2) oder, im Fall der Übertragung, der Streithelfer die ihnen hinsichtlich des Bahnsteigs obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hätten. Dies unterstellt, komme entgegen der Auffassung des LG eine Haftung der Bekl. zu 1) nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB wegen der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht in Betracht. Aus dem Beförderungsvertrag folge die Pflicht des Eisenbahnverkehrsunternehmens, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleide. Auch nach der Bahnstrukturreform beginne diese Pflicht nicht erst mit dem Einsteigen und ende nicht mit dem Aussteigen, sondern umfasse ebenso den gefahrlosen Zugang und Abgang. Das Eisenbahnverkehrsunternehmen treffe die vertragliche Nebenpflicht, die dazu erforderlichen Bahnanlagen, insb. die Bahnsteige, verkehrssicher zu halten. Werde diese Infrastruktur durch Dritte zur Verfügung gestellt, bediene sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen dieser Dritten als Erfüllungsgehilfen und müsse sich ein etwaiges Fehlverhalten gem. § 278 BGB zurechnen lassen.
[7] II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
[10] 2. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist aufgrund eines Personenbeförderungsvertrags verpflichtet, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleidet. Dies betrifft zunächst den eigentlichen Beförderungsvorgang zwischen Ein- und Aussteigen. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist aufgrund eines Beförderungsvertrags darüber hinaus aber auch verpflichtet, dem Fahrgast einen sicheren Zu- und Abgang zu ermöglichen. Wird diese vertragliche Nebenpflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB. Werden die Bahnanlagen, die der Fahrgast für den Zu- und Abgang benutzen muss, durch ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen bereitgestellt, bedient sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen des Infrastrukturunternehmens als Erfüllungsgehilfen und hat dessen Verschulden in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB).
[11] a) Vor der Eisenbahnstrukturreform war in der Rspr. anerkannt, dass das Eisenbahnunternehmen aufgrund des Beförderungsvertrags verpflichtet ist, für einen sicheren Zugang und Abgang des Fahrgastes zu sorge...