[6] "… Der Bekl. rügt zu Recht, das BG habe seinen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es den von ihm erhobenen Einwand der hypothetischenEinwilligung nicht geprüft hat."
[7] a) In der höchstrichterlichen Rspr. ist anerkannt, dass Art. 103 Abs. 1 GG dann verletzt ist, wenn der Tatrichter Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat (BGH, Beschl. v. 1.10.2014 – VII ZR 28/13, NJW-RR 2014, 1431 Rn 10; v. 21.3.2013 – VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn 10; v. 17.7.2012 – VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn 9; jeweils m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall.
[8] b) Der vom Bekl. erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung hätte gem. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO berücksichtigt werden müssen.
[9] aa) Noch zutreffend – und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen – ist das BG davon ausgegangen, dass es sich bei dem vom Bekl. zweitinstanzlich erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung um ein neues Verteidigungsmittel i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Damit konnte es im Berufungsrechtszug nur unter den besonderen Voraussetzungen dieser Vorschrift berücksichtigt werden.
[10] bb) Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Annahme des BG, auch die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO seien insoweit nicht erfüllt. Auf die Frage nach einer hypothetischen Einwilligung kam es auf der Grundlage der Rechtsauffassung des LG, das von ausreichenden Eingriffsaufklärungen ausging, nicht an. Weiter verlangt § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO, dass die nach Auffassung des BG fehlerhafte Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zumindest mitursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in die Berufungsinstanz verlagert hat (BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn 19; Zöller/Heßler, 30. Aufl., § 531 Rn 27; Hk-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 531 Rn 7; jeweils m.w.N.), was schon dann in Betracht kommt, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs, hätte es die später vom BG für zutreffend erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre (BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 166/11, a.a.O. Rn 20; Zöller/Heßler, a.a.O.; Hk-ZPO/Wöstmann, a.a.O.). Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
[11] Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem LG wurde das bei der Kl. erhöhte Risiko einer erneuten Kapselfibrose insoweit angesprochen, als der Bekl. im Rahmen seiner persönlichen Anhörung darlegte, die Kl. vor der zweiten Operation über das erhöhte Risiko einer Kapselfibrose aufgeklärt zu haben. Die Kl. räumte ein, es könne schon sein, dass ihr der Bekl. gesagt habe, dass das Risiko einer erneuten Kapselfibrose erhöht sei. Dass die Aufklärung über das in ihrem Fall erhöhte Risiko einer Kapselfibrose trotzdem unzureichend sei, hat sie dabei nicht eingewandt. Hätte das LG erwogen, dass – wie das BG meint – die erfolgte Eingriffsaufklärung unabhängig von der unstreitigen Aufklärung über das bei der Kl. erhöhte Risiko einer erneuten Kapselfibrose deshalb unzureichend sein könnte, weil damit nur über die revisionsoperationsbedingte Risikoerhöhung, nicht aber über den nach Auffassung des BG zusätzlichen Risikofaktor der vorangegangenen Krebsoperation aufgeklärt worden sei, hätte es bei dieser Sachlage gem. § 139 Abs. 2 ZPO auf diesen Gesichtspunkt hinweisen müssen. Denn der Bekl. hatte ihn ersichtlich nicht im Blick und damit aus seiner Sicht keinen Anlass einzuwenden, die Kl. hätte der Operation auch dann zugestimmt, wenn sie neben der revisionsoperationsbedingten Risikoerhöhung auch über den zusätzlichen Risikofaktor der vorangegangenen Krebsoperation aufgeklärt worden wäre.
[12] Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus der Überlegung des BG, der Bekl. bzw. sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, hätte allen Anlass gehabt, den naheliegenden Einwand der hypothetischen Einwilligung bereits im ersten Rechtszug zu erheben, weil der Bekl. aufgrund der vom LG erteilten Anordnungen jedenfalls habe in Betracht ziehen müssen, dass eine Verurteilung auf eine unzureichende oder nicht erfolgte Aufklärung gestützt werde. Das BG verkennt insoweit bereits, dass die Nachlässigkeit der Partei – anders als im Falle des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO – die Anwendung des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO nicht ausschließt (BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn 17 f.).
[13] 3. Im Rahmen der erneuten Befassung wird das BG Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.“
zfs 8/2015, S. 446 - 448