Das "Ein-Personen-Werk" von Thomas Fischer, Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof, ist auf den Tischen der Staatsanwälte und Strafrichter in der 62. Auflage gelandet. Für Verkehrsrechtler sind insbesondere interessant die Vorschriften der Verkehrsdelikte, die jedoch in dem Literaturteil in Teilen relativ alte Literaturfundstellen zitieren. Nicht ohne Grund weist der Autor des Kommentars darauf hin, dass es ihm nicht darum ginge, so genannte "herrschende Meinungen" kritiklos abzubilden oder andererseits lediglich persönliche Ansichten des Verfassers unangemessen in den Vordergrund im Rahmen des Kommentars zu stellen. Denn unermüdlich kämpft Thomas Fischer um die "Verwirklichung des Rechts und die Annäherung an Gerechtigkeit", vgl. Vorwort.
Die letzten Gesetzesänderungen, die eine Neubearbeitung in dem Kommentar erforderlich gemacht haben, sind für den Verkehrsstrafrechtler vielleicht uninteressant, aber für den Bürger dieses Landes sind die Gesetzesinitiativen bei den Tötungsdelikten (im Internet abrufbar auf der Website des BMJV als Abschlussbericht der Expertengruppe) und der Sterbehilfe (Beschluss durch den Bundestag im November 2015 geplant) wie auch der Neuregelung des Sexualstrafrechts wichtig. So gibt der Anhang bereits einen Überblick zu dem Gesetzesentwurf der Umsetzung der Lanzarote-Konvention und der Instanbul-Konvention des Europarates.
Besonders wichtig aber sind für Verteidiger die Entscheidungen der Gerichte nach der Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung vom 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 – zur Verfahrensabsprache. Noch immer herrscht große Unsicherheit darüber, wie die gesetzlichen Vorschriften in der Praxis anzuwenden sind. Dies problematisiert Fischer in dem Kommentar unter § 46 Rn 113 ff. übersichtlich und auf den Punkt gebracht. Die Entscheidungen sind deswegen notwendig, weil die Absprachepraxis offenbar immer noch mitunter "außer Kontrolle geraten" ist. Dieser Abschnitt ist insbesondere für den Verteidiger nicht nur deswegen wichtig, weil er verdeutlicht, dass Transparenz- und Dokumentationspflichten zu erfüllen sind, die bei Nichtvorlage einen absoluten Revisionsgrund begründen können, sondern auch deshalb, weil Absprachen über den Schuldspruch, aber auch über das Vorliegen von Sonderstrafrahmen für minder schwere und besonders schwere Fälle nicht einer Verfahrensabsprache i.S.d. Gesetzes zugänglich sind. Dies gilt ebenfalls für die sog. Paket-Absprachen und die Vereinbarungen von Maßregeln oder deren nähere Ausgestaltung. Die Rückmeldungen der Teilnehmer in einer Vielzahl von Seminaren auf Nachfrage der Rezensentin beweisen jedoch, dass gerade im Verkehrsstrafrecht Gespräche dieser Natur – unbeeindruckt von den gesetzlichen Regelungen – immer noch weit verbreitete Praxis sind. In diesem Zusammenhang soll ohne nähere Prüfung auch auf die Neufassung der Kommentierung der Vorschriften zur Rechtsbeugung (§ 339 StGB) hingewiesen werden, bei denen eine Beteiligung jedenfalls auch ohne Amtsträgereigenschaft für den Rechtsanwalt denkbar sein dürfte (ähnlich auch die Kommentierung von Fischer in Rn 22 zu § 339 StGB).
Unabhängig von der Frage, wie mit den anderen Prozessbeteiligten kommuniziert wird, ist daran zu erinnern, dass Kommunikation dann gut funktioniert, wenn die Verteidigung über die Informationsquelle ihres Gegenübers verfügt.
"Das Recht funktioniert noch viel primitiver, will sagen: näher am Menschen. Es setzt Macht voraus, und Gewalt zu ihrer Durchsetzung" (lesenwert dazu Fischer: Über die Befangenheit von Richtern, DIE ZEIT vom 5.5.2015). Zutreffend führt Fischer selbst aus, dass es sich bei Richtern um ganz normale Menschen handelt, die allen anderen ähnlich sind. Sie sind nicht weiser, nicht neutraler – nicht gerechter.
Das muss für den Verteidiger bedeuten, dass er parteilich die Interessen seiner Mandanten vertritt, gut oder noch besser als seine prozessualen Gegenspieler auch über die gesetzlichen Grundlagen informiert ist. Frei nach Loriot: Man kann zwar ohne den Fischer in den Gerichtssaal gehen, aber es ist sinnlos. Für eine erfolgreiche, weil kenntnisreiche Verteidigung ist es unerlässlich, jederzeit mit ihm "gewappnet" zu sein.
Autor: Gesine Reisert
RAin Gesine Reisert, FAin für Strafrecht und für Verkehrsrecht, Berlin
zfs 8/2015, S. 432 - 433