VVG § 180
Leitsatz
1. Stichtag für die Bemessung der Invalidität ist der Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfallereignis nur dann, wenn noch eine Neubemessung zulässig ist.
2. Streiten die Parteien lediglich um die Erstbemessung, so ist der Zeitpunkt der letzten ärztlichen Untersuchung der versicherten Person maßgeblich. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zutage getretene weitere Tatsachen sind insoweit zu berücksichtigen, als sie Rückschlüsse auf die zu dem Zeitpunkt der letzten ärztlichen Untersuchung gebotene Einschätzung der Invalidität zulassen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Hamm, Urt. v. 25.6.2014 – 20 U 61/14
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl., seinen UnfallVR, wegen der am Sprunggelenk eingetreten erheblichen Folgen eines Sturzes vom 5.5.2008 von einer Leiter in Anspruch. Der von der Bekl. beauftragte SV bemaß die Invalidität des Kl. am 9.2.2011 auf 5/20 Beinwert. Auf dieser Grundlage rechnete die Bekl. ab. Der Kl. erhob Klage mit dem Begehren, nach einem Beinwert von 8/20 entschädigt zu werden. Der im Rechtsstreit beauftragte gerichtliche SV hielt einen Invaliditätsgrad von 5/20 Beinwert aufgrund von Untersuchungen vom 13.2.2012 für gerechtfertigt. Der Kl. unterzog sich wegen fortdauernder Beschwerden am 29.11.2012 einer Sprunggelenkversteifung. Auf dieser Grundlage sah der gerichtliche SV am 8.4.2013 einen Invaliditätsgrad von 8/20 Beinwert für zutreffend an, teilte aber mit, die Notwendigkeit einer solchen Operation sei für ihn bei seiner Untersuchung nicht voraussehbar gewesen. Das LG wies die Klage ab, weil es einen Invaliditätsgrad von 5/20 – bezogen auf den 5.5.2011 – annahm.
2 Aus den Gründen:
" … Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Bekl. keine weiteren Invaliditätsleistungen zu erbringen hat. Grundlage für die Berechnung der Invaliditätsleistung sind nach Ziff. 2.1.2.2 AUB 02.02 die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität. Der von der Bekl. ihrer Abrechnung zugrunde gelegte Invaliditätsgrad von 5/20 Beinwert ist nach den überzeugenden Feststellungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen zutreffend."
Soweit der Kl. mit der Berufung geltend macht, dass neben den Untersuchungsergebnissen des Sachverständigen Dr. W auch die danach vorgenommene Sprunggelenksversteifung bei der Bemessung des Invaliditätsgrades zu berücksichtigen sei, ist dies aus zwei Aspekten verfehlt:
1. Der Kl. geht unzutreffend davon aus, dass es für die Bemessung seines Invaliditätsgrades auf den Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall, also auf den 5.5.2011 ankomme.
Auf diesen Stichtag kann es allenfalls dann ankommen, wenn die Klage erhoben wird, solange bedingungsgemäß noch eine Nachprüfung der Invaliditätsfeststellung möglich ist. Eine solche Nachprüfung des Invaliditätsgrades ist (hier nach Ziff. 9.4 AUB 02.02) bis zu drei Jahre nach dem Unfall möglich, wenn der VR sie sich bei der Erstfeststellung vorbehalten hat bzw. wenn der VN sie drei Monate vor Fristablauf geltend macht. Streiten die Parteien über die Erstfestsetzung der Invalidität und ist eine Nachprüfung bedingungsgemäß noch möglich, so sind sie im Hinblick auf Gesundheitsveränderungen bis zum Ablauf der 3-Jahresfrist nicht auf ein außerprozessuales Nachprüfungsverfahren angewiesen, sondern können den Streit über den Invaliditätsgrad aus prozessökonomischen Gründen insgesamt im laufenden Verfahren austragen. Es kommt dann für die Frage der Invaliditätsbemessung auf den Gesundheitszustand am Ende der 3-Jahresfrist an (vgl. BGH VersR 2009, 1213; 2008, 527; Jacob, VersR 2014, 291, 292).
So liegt der Fall hier allerdings nicht. Der Kl. hat die Erstfeststellung seiner Invalidität, die die Bekl. mit Abrechnung vom 15.2.2011 vorgenommen hat, erst mit seiner Klage vom 21.6.2011 angegriffen. Zu diesem Zeitpunkt kam ein Nachprüfungsverfahren nicht mehr in Betracht, weil sich weder die Bekl. ein solches vorbehalten und noch der Kl. drei Monate vor Ablauf der 3-Jahres-Frist geltend gemacht hatte, dass die Invalidität i.S.d. Ziff. 9.4 AUB 02.02 neu festgestellt werden müsse. Der Klägervertreter wandte sich erst am 19.4.2011 und damit nach Ablauf der Dreimonatsfrist an die Bekl. Dabei verlangte er keine Nachprüfung bzw. Neubemessung, sondern wandte sich gegen die von der Bekl. vorgenommene Invaliditätsbemessung. Es ging ihm nur darum, diese Erstfeststellung bzw. die Invaliditätsbemessung von Dr. C in Frage zu stellen, weil er diese für unzutreffend hält. Insbesondere hat er vorprozessual nicht geltend gemacht, dass seit der Erstfeststellung Gesundheitsveränderungen eingetreten seien, die eine Neufestsetzung rechtfertigten.
Da ein Nachprüfungsverfahren nach alledem bei Klageerhebung bedingungsgemäß nicht mehr in Betracht kam, ist für die Invaliditätsfeststellung nicht auf den Stichtag drei Jahre nach dem Unfallereignis abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt der letzten sachverständigen Untersuchung des Kl. durch den Sachverständigen Dr. C am 9.2.2011.
Zwar schreibt Ziff. 2.1.1.1 AUB 02.02. vor, dass die Invalidität binnen eines Jahres eingetreten sein muss, ...