1) Da der Anwendungsbereich des OEG nur bei einem vorsätzlichen Angriff gegen eine Person eröffnet wird, kann nur in seltenen Ausnahmefällen bei Schädigungen im Straßenverkehr eine Versorgung nach den Grundsätzen des BVG eingreifen (§ 1 Abs. 1 OEG). Aufgrund der Versicherung motorisierter Verkehrsteilnehmer erhalten Opfer im Straßenverkehr im Regelfall ausreichende Versorgung, so dass eine Erstreckung des OEG auf Verkehrsunfälle nicht notwendig erscheint. Das OEG bezweckt den Schutz von Opfern vorsätzlicher Gewalttaten vor unzureichender Entschädigung als Gebot der Gerechtigkeit, da der Staat sein Monopol für die Verbrechensbekämpfung nicht durchsetzen konnte und die Solidarität der Rechtsgemeinschaft die Entschädigung fordert (vgl. von Hippel, ZRP 1971, 5; Rüfner, NJW 1975, 1249; Gelhausen/Weiner, OEG, 6. Aufl., S. 9). Für die insoweit noch zurückhaltende Zivilrechtsprechung könnte es aufschlussreich sein, dass das BSG bereits in einem Urt. v. 7.11.1979 Schockschadensopfer in den Schutzbereich des OEG einbezogen hat (SozR 3-3800 zu § 1 OEG Nr. 1) und durch Bildung eines eigenen Gewaltbegriffs die Opfer von sexuellen Straftaten in den Schutzbereich des OEG auch dann einbezieht, wenn der Täter keine Gewalt i.S.d. Strafgesetzbuchs verübt hat (BSG SozR 3-3800 zu § 1 OEG Nr. 6).
2) Die Entscheidung des BGH fasst die Grundsätze der Schadensschätzung bei der Ermittlung schädigungsbedingten Verdienstausfalls zusammen. Ausgangspunkt der Berechnung ist die Überlegung, dass nicht die beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit des wieder Selbstständigen die Annahme rechtfertigt, es liege ein ersatzfähiger Schaden vor. Ein Schaden ist nur dann zu bejahen, wenn die beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit des Selbstständigen ihren Niederschlag in einer Gewinnminderung gefunden hat (vgl. BGH VersR 1992, 973; OLG Saarbrücken VersR 2000, 985; OLG Oldenburg VersR 1998, 1285). Bei einer Erwerbsbiographie, die Tiefen wie eine zwischenzeitliche Insolvenz aufwies, unabhängig von der erst später eingetretenen Schädigung, sind die Chancen, einen auf die deliktische Schädigung zurückzuführenden Verdienstausfall nachzuweisen, bei der gebotenen konkreten Bewertung der Erwerbsbiographie deutlich vermindert.
Ausreichende Anknüpfungstatsachen zur Schätzung von Umsatz, Rohgewinn und Kosten durch vorgelegte Bilanzen, Steuerbescheide und betriebswirtschaftliche Auswertungen können über einen längeren Zeitraum aussagekräftige Schlüsse erlauben (vgl. BGH VersR 1997, 1554; zu den Maßnahmen zur Regulierung des Erwerbsschadens von Selbstständigen und Freiberuflern vgl. Kendel, zfs 2007, 372). Ganz wohl ist der Rspr. nicht bei dieser rigiden, mehr zur Verneinung von Ansprüchen wegen entgangenen Verdienstes führenden Weichenstellung. Die Betonung, dass an die Darlegung des Geschädigten hinsichtlich des Verdienstentgangs "keine zu hohen Anforderungen" gestellt werden dürfen (Rn 18), dürfte auf das Unbehagen zurückzuführen sein, dass der Schädiger den Geschädigten in die unerfreuliche Situation gebracht hat, den Schaden nachweisen zu müssen. Für Minderjährige wird der Sache nach ein "Schätzungsbonus" dadurch begründet, dass nach der Beweiserleichterung des § 252 BGB es ausgeschlossen erscheint, dem Minderjährigen den Ersatz eines Verdienstausfalls zu versagen (vgl. BGH zfs 1997, 131). Die Projektion vergangener geschäftlicher Misserfolge in die Zukunft bei der Entwicklung künftiger Chancen kann sich für den Geschädigten wie hier verhängnisvoll auswirken.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 8/2016, S. 440 - 443