ZPO § 91 Abs. 1
Leitsatz
1. Kosten für ein Privatgutachten können nur ausnahmsweise als Kosten des Rechtsstreits (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO) angesehen werden. Maßgeblich für ihre Erstattungsfähigkeit ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Beauftragung eines Privatgutachters ex ante als sachdienlich ansehen durfte.
2. Kosten eines vom Kl. vor Klageerhebung in Auftrag gegebenen, indes erst nach Klageerhebung erstellten unfallanalytischen Privatgutachtens sind nicht erstattungsfähig, wenn dieses Gutachten weder zur Herbeiführung der Schlüssigkeit des Klagebegehrens noch zur gebotenen Substantiierung des Klagevorbringens erforderlich war.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.4.2016 – 12 W 737/16
Sachverhalt
Die Kfz-Haftpflichtversicherung (spätere Bekl. zu 2) des Unfallgegners (späterer Bekl. zu 1) hatte den dem Kl. aufgrund des Verkehrsunfalls vom 3.5.2014 erlittenen Schaden auf Basis einer Haftungsquote von 50 % reguliert, hingegen weitere Zahllungen verweigert. Zwischen den Beteiligten war insb. eine Mithaftung des Kl. streitig. Der Kl. erhob beim LG Nürnberg-Fürth wegen restlicher Schadensersatzansprüche i.H.v. 9.137,91 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten am 7.8.2914 Klage. Die Klageschrift wurde den Bekl. am 16.8.2014 zugestellt. Bereits vor Klageerhebung – spätestens im Juli 2014 – hatte der Kl. ein privates verkehrsunfallanalytisches Gutachten bei dem Sachverständigen G in Auftrag gegeben. Der Sachverständige erstattete dieses Gutachten erst nach Klageerhebung unter dem 22.8.2014. In der Replik zur Klageerwiderung berief sich der Kl. hierauf. Sein Prozessbevollmächtigter machte unter Auswertung des Privatgutachtens ergänzende Ausführungen zum Kollisionswinkel und zur Kollisionsgeschwindigkeit der am Unfall beteiligten Fahrzeuge sowie zu einer Weg-Zeit-Betrachtung.
Das LG Nürnberg-Fürth hat nach Beweisaufnahme, insb. nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, der Klage im Wesentlichen stattgegeben und den Bekl. als Gesamtschuldnern die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit Kostenfestsetzungsantrag seiner Prozessbevollmächtigten hat der Kl. die Festsetzung insoweit unstreitiger Gerichts- und Rechtsanwaltskosten i.H.v. 4.604,92 EUR und der dem privaten Sachverständigen G entstandenen Kosten i.H.v. 2.620,80 EUR beantragt. Der Rechtspfleger des LG Nürnberg-Fürth hat dem Kostenfestsetzungsantrag im vollen Umfang entsprochen. Die gegen die Festsetzung der Privatgutachtenkosten gerichtete sofortige Beschwerde der Bekl. hatte beim OLG Nürnberg Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … II.3.a) Die unterliegende Partei hat die dem Prozessgegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Insoweit ist (wie bei sonstigen aufgewendeten Prozesskosten) maßgeblich darauf abzustellen, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme – die Einholung eines Privatgutachtens – objektiv als sachdienlich ansehen durfte. Für diese Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Kosten auslösende Maßnahme veranlasst wurde, mithin ex ante auf den Zeitpunkt der Erteilung des Gutachtensauftrags. Unerheblich ist, ob das Privatgutachten im Rahmen einer ex-post-Betrachtung tatsächlich die Entscheidung des Gerichts beeinflusst hat (vgl., auch zum Folgenden: BGH RVGreport 2013, 236 (Hansens) = zfs 2013, 346 m. Anm. Hansens; BGH RVGreport 2012,303 (Ders.); BGH RVGreport 2012, 229 (Ders.) = zfs 2012, 285 m. Anm. Hansens; BGH RVGreport 2007, 279 (Ders.); BGH BRAGOreport 2003, 296 (Ders.) = AGS 2003, 178 m. Anm. Leupertz; OLG Koblenz JurBüro 2016, 149; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., a.a.O. § 91 Rn 12, Rn 13 Stichwort “Privatgutachten’; jeweils m.w.N.)."
Grds. sind die Kosten derartiger Gutachten nicht erstattungsfähig, da eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die Einholung eines Privatgutachtens – schon im Hinblick auf dessen mangelnde Verwertbarkeit in einem gerichtlichen Verfahren – ex ante nicht als sachdienlich ansehen darf.
Hinsichtlich der in Ausnahmefällen zu bejahenden Erstattungsfähigkeit der durch die Einholung eines Privatgutachtens entstandenen Kosten ist zu differenzieren:
Die Kosten eines bereits vor dem Rechtsstreit eingeholten Privatgutachtens sind grds. mangels unmittelbarer Prozessbezogenheit keine Kosten des nachfolgenden Rechtsstreits i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Insoweit genügt es nicht, wenn das Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird, sondern das Gutachten muss sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein. Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, nicht erstattungsfähig. Hingegen sind im Hinblick auf ein konkretes Verfahren entstandene Kosten eines Privatgutachtens ausnahmsweise dann erstattungsfähig, wenn eine ausreichende Klagegrundlage (bzw. Verteidigungsgrundlage bzw. Rechtsmittelgrundl...