VVG § 201; MB/KK 94 § 5 (1) b
Leitsatz
1. Eine Krankheit i.S.v. § 5 (1) b MB/KK 94 ist auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet.
2. Ein Erfahrungssatz, wonach sich die versicherte Person mit allen ihr durch ärztliche Aufklärung bekannt gewordenen möglichen Krankheitsfolgen eines geplanten ärztlichen Eingriffs, die mit einer gewissen Häufigkeit beobachtet werden, im Sinne einer billigenden Inkaufnahme abfindet, besteht nicht.
BGH, Urt. v. 17.2.2016 – IV ZR 353/14
Sachverhalt
Der Kl. verlangt von der Bekl. Krankenversicherungsleistungen wegen einer bei seiner Ehefrau durchgeführten Auswechslung von Brustimplantaten.
Bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages hatte sich die mitversicherte Ehefrau des Kl. im Jahre 2004 aus kosmetischen Gründen mittels Implantaten die Brüste vergrößern lassen, was der Kl. im Versicherungsantrag bei Beantwortung der dort gestellten Gesundheitsfragen nicht angegeben hatte. Ende 2011 bildete sich in der rechten Brust der Ehefrau des Kl. ausgelöst durch das Implantat eine schmerzhafte Kapselfibrose; in ihrer linken Brust war es zu einer Implantatdislokation gekommen. Am 19.1.2012 wurde deshalb ein beidseitiger Implantatwechsel vorgenommen, für den das ausführende Klinikum 4.629,61 EUR in Rechnung stellte. Der Kl. meint, die Bekl. sei hierfür eintrittspflichtig, anderenfalls schulde sie die Kostenerstattung wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten, weil sie bei Vertragsschluss darüber hätte informieren müssen, dass sie für die Folgen kosmetischer Operationen nicht einstehe.
LG und OLG haben die Klage abgewiesen, weil die mitversicherte Ehefrau die Krankheit vorsätzlich bei sich selbst herbeigeführt habe.
2 Aus den Gründen:
[13] "… II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung hätte das BG die Klage nicht abweisen dürfen."
[14] 1. Zu Unrecht hat es angenommen, bereits die 2004 mittels der Implantate herbeigeführte Brustvergrößerung habe bei der Ehefrau des Kl. zu einer Krankheit i.S.v. § 201 VVG bzw. § 1 Teil I (1) und § 5 Teil I (1) Buchst. b AVB geführt.
[15] a) AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (BGHZ 123, 83, 85; st. Rspr.).
[16] b) Unter einer bedingungsgemäßen Krankheit wird ein solcher VN entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch … , wie er sich auf der Grundlage allgemein bekannt gewordener medizinischer Erkenntnisse herausgebildet hat (vgl. dazu LG Köln VersR 1983, 388), einen objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anormalen, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verstehen (vgl. nur Senat BGHZ 99, 228 unter II 2 a … ), wobei sich die Einstufung als “anormal’ aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als “regelwidrig’ aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes ergibt.
[17] Eine Krankheit ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt (Prölss/Martin/Voit, VVG, 29. Aufl., § 192 Rn 20 … ) und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet. …
[18] c) Danach führt – anders als das BG meint – eine mittels ärztlichen Eingriffs vorgenommene Brustvergrößerung nach allgemeinem Sprachgebrauch zu keiner Krankheit i.S.d. Bedingung. Zwar mag die Implantation eines Fremdkörpers, etwa eines Silikonkissens, einen biologisch anormalen Körperzustand bewirken, medizinisch regelwidrig im Sinne einer Erkrankung ist dieser nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN aber schon deshalb nicht, weil – wenngleich nicht medizinisch geboten – er von einem Arzt unter Beachtung medizinischer Regeln und Sorgfaltsanforderungen herbeigeführt wird und bei normalem, komplikationsfreiem Verlauf auch nicht zur Störung körperlicher oder geistiger Funktionen führt und keinen Behandlungsbedarf begründet.
[19] Dementsprechend wird beispielsweise in Teilen der Rspr. zu Recht angenommen, eine medizinisch nicht gebotene, lediglich mit Blick auf die individuelle Lebensplanung durchgeführte Sterilisation führe nicht zu einer Krankheit (vgl. OLG Nürnberg VersR 2005, 1383, 1384; offen gelassen von OLG Köln VersR 1994, 1170; vgl. für die gesetzliche Krankenversicherung BSG NJW 1986, 1572, 1573). Denn eine solche mit ärztlicher Hilfe freiwillig herbeigeführte Unfruchtbarkeit wird ein VN nach dem allgemeinen Sprachgebrauch schon deshalb nicht als krankhaft ansehen, weil sie keinen weitergehenden Behandlungsbedarf auslöst. Lässt eine versicherte Person bewusst und gewollt einen ärztlichen Eingriff aus kosmetischen Gründen vornehmen, so wird auch der dadurch geschaffene Zustand selbst dann, wenn Fremdkörper implantiert werden, weder von der Rechtsgemeinschaft noch von einem durchschnittlichen VN als “kra...