StPO § 111a
Leitsatz
Bei einem Zeitablauf von einem Jahr und vier Monaten seit Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist die weitere Aufrechterhaltung der Maßnahme als unverhältnismäßig anzusehen.
LG Hannover, Beschl. v. 24.2.2016 – 40 Qs 18/16
Sachverhalt
Das LG Hannover hat den Beschl. des AG, mittels dessen dem Betroffenen die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wurde, aufgehoben.
2 Aus den Gründen:
"Unbeschadet des fortbestehenden dringenden Tatverdachts und unabhängig von der Frage, ob der mutmaßliche Eignungsmangel i.S.d. § 69 StGB weiter besteht und deshalb gem. § 111a StPO dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird, erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend wegen auf einer sachwidrigen Behandlung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots beruhenden Verzögerung des Verfahrens unverhältnismäßig (vgl. dazu OLG Karlsruhe NStZ 2005, 402 f.)."
Der verfahrensgegenständliche Vorfall datiert vom 27.10.2014. Mit dem angefochtenen Beschl. v. 12.11.2014 wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Am 17.4.2015 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zum Strafrichter. Eine auf den 12.10.2015 terminierte Hauptverhandlung wurde wegen Abwesenheit eines Zeugen ausgesetzt. Am 13.10.2015 wurde Termin für die neue Hauptverhandlung auf den 10.3.2016 bestimmt.
Den Angeklagten auf geraume Zeit auf der Grundlage vorläufiger Erkenntnisse ohne Fahrerlaubnis zu belassen, widerspricht vor dem Hintergrund dieser zögerlichen Sachbehandlung dem Rechtsstaatsgebot. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen stehen. Das gilt sowohl hinsichtlich der Anordnung und der Vollziehung als auch hinsichtlich der Fortdauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. LG Stuttgart, Beschl. v. 13.3.2013 – 18 Qs 14/13, juris). Bei einem Zeitablauf von einem Jahr und vier Monaten seit Anordnung der Maßnahme bis zur Hauptverhandlung ist ein solches vernünftiges Verhältnis im vorliegenden Fall nicht mehr gegeben. Aus diesem Grunde ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als unverhältnismäßig aufzuheben.“
3 Anmerkung:
Bei der Prüfung von Maßnahmen nach § 111a StPO ist zu unterscheiden zwischen den Aspekten "Zeitablauf" und "Beschleunigungsgebot" (vgl. auch LG Leipzig, Beschl. v. 23.9.2014 – 1 Qs 329/14, juris). Ob nur wegen eines längeren Zeitablaufs die Maßnahme nach § 111a StPO unverhältnismäßig ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Die Rspr. divergiert hier sowohl dem Grunde nach als auch bezüglich der Länge der verstrichenen Zeit (vgl. Hauschuld, in: MüKo-StPO, 1. Aufl. 2014, § 111a Rn 17, m.w.N.; Huber, in: BeckOK-StPO, § 111a Rn 4; Bruns, in: KK-StPO, § 111a Rn 4, 11). Die Aufhebung des Beschl. nach § 111a StPO nur aufgrund Zeitablaufs ist i.d.R. nicht vorzunehmen (vgl. zuletzt LG Zweibrücken NZV 2012, 499; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2014, 16). Allerdings kann eine überlange Verfahrensdauer die Aufhebung der Maßnahme erfordern, etwa wenn die Feststellung des Eignungsmangels in der Hauptverhandlung nicht mehr zu erwarten ist (LG Frankfurt DAR 2012, 275; KG Berlin StraFo 2011, 353; OLG Nürnberg StV 2006, 685; BayObLG NJW 1971, 206; LG Saarbrücken zfs 2007, 470).
Daneben ist anerkannt, dass bei Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot die Maßnahme aufzuheben ist (LG Stuttgart, Beschl. v. 13.3.2013 – 18 Qs 14/13, juris; Hauschuld, a.a.O.). Dies liegt vor, wenn etwa mehrere Monate keine Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörde gegeben ist. Dass in der Hauptverhandlung eine Verurteilung samt Anordnung der Maßregel erfolgen wird, kann keine Rechtfertigung der Maßnahme bedeuten (LG Berlin StraFo 2014, 382). Denn wenn dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist, muss das Verfahren beschleunigt geführt werden (OLG Hamm zfs 2002, 199; OLG Nürnberg StV 2006, 685).
RiAG Dr. Benjamin Krenberger
zfs 8/2016, S. 469