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Ob und in welchem Umfang Aufnahmen aus Minikameras im Straßenverkehr in einem Zivilprozess zur Unfallrekonstruktion verwertet werden können, wird derzeit in der Rechtsprechung und Literatur kontrovers erörtert. Dabei ist insbesondere zwischen anlassbezogenen Aufnahmen, die i.d.R. verwertet werden können, und permanenten Aufnahmen zu unterscheiden, welche nur unter Beachtung bestimmter Kriterien im Zivilprozess verwertet werden sollten.
I. Bedeutung für die Unfallrekonstruktion – erste Erfahrungen
Die ersten Erfahrungen mit der Auswertung von Filmaufnahmen zeigen, dass sie einen wertvollen Beitrag zur Unfallrekonstruktion bieten, häufig sogar die beste Aufklärungsmöglichkeit darstellen und somit Fälle, die ansonsten als ungeklärter Unfallhergang bei Gericht behandelt werden müssen, mithilfe derartiger Kameraaufzeichnungen sicher und erfolgversprechend aufgeklärt werden können. Beispielhaft ist auf die nachfolgenden drei Fallgruppen zu verweisen.
1. Auffahrunfälle
Im Rahmen von Unfällen, bei denen ein Verkehrsteilnehmer auf den anderen aufgefahren ist, gibt es häufig den Einwand, der Vorausfahrende habe grundlos eine starke Bremsung durchgeführt bzw. sogar absichtlich gebremst, um einen anderen Verkehrsteilnehmer zu disziplinieren und dadurch die entscheidende Unfallursache gesetzt. Dies ist für einen Sachverständigen allein anhand der Schäden an den Fahrzeugen im Regelfall äußerst schwer zu überprüfen, und die Erfahrung zeigt auch, dass die jeweiligen Fahrzeuginsassen ggf. vollkommen unterschiedliche Wahrnehmungen haben. Zwar kann durch unbeteiligte Zeugen ein solches Geschehen u.U. gut aufgeklärt werden. Dies wird wiederum dann schwierig, wenn beide Seiten jeweilige Zeugen mit unterschiedlichen Wahrnehmungen in den Prozess einführen oder aber schlicht und ergreifend keine (unbeteiligten) Zeugen zur Verfügung stehen. In einem der ersten Prozesse, in denen über die Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen gestritten wurde, war es dem AG München gelungen, nach der Zulassung des Videos eines auffahrenden Radfahrers den Unfallablauf mithilfe eines Sachverständigen aufzuklären. Dieser konnte anschaulich darlegen, dass durchaus ein verkehrsbedingter Anlass für ein Abbremsen des vorausfahrenden Fahrzeugs bestanden haben dürfte und vor allem der von hinten folgende Radfahrer selbst unter Berücksichtigung der von ihm angegebenen eigenen Geschwindigkeit keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat. Derartige Unfallabläufe können mithilfe einer solchen Videoaufzeichnung mithin sicher aufgeklärt werden – dies im Übrigen auch zulasten des eigenen Verwenders, wie der Fall anschaulich zeigt.
2. Rotlichtverstoß
Ebenso hervorzuheben ist die Fallgruppe, bei denen jeweils ein Fahrzeugführer dem Unfallgegner aus dem Querverkehr vorwirft, dieser wäre bei Rot in die Kreuzung eingefahren. Aufgrund der Funktionsüberprüfung der Ampelanlage steht im Regelfall dann erst einmal nur fest, dass einer von beiden Fahrzeugführern in der Tat bei roter LZA eingefahren sein müsste. Hier ist es ohne unbeteiligte Zeugen nahezu unmöglich, den Sachverhalt aufzuklären. Selbst bei Vorhandensein unbeteiligter Zeugen gestaltet sich dies im Regelfall schwierig. In einem Prozess vor dem AG Köln konnte jedoch durch die Videoaufzeichnung eines unbeteiligten Zeugen die notwendige Tatsachengrundlage dafür geschaffen werden, dass ein Sachverständiger unter Berücksichtigung dieses Videos sichere Rückschlüsse auf die Ampelstellung der unfallbeteiligten Fahrzeugführer ziehen und letztendlich aufgeklärt werden konnte, wer bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren ist. Dies gilt im Übrigen auch bei der Aufklärung damit verbundener Straftaten oder schwerwiegender Ordnungswidrigkeiten.
3. Fahrstreifenwechsel
Ebenso schwierig aufzuklären sind Verkehrsunfälle, bei denen jeweils der eine Fahrzeugführer dem anderen vorwirft, dieser und nicht er selbst habe den Fahrstreifen gewechselt. Auch hier bieten Videos die bestmögliche Grundlage für eine Aufklärung. Beispielsweise konnte in einem Prozess vor dem AG Essen, bei dem sich interessanterweise beide Seiten mit der Verwertung eines solchen Videos einverstanden erklärt haben, aufgeklärt werden, wer von beiden die entscheidende Unfallursache gesetzt hat. Dabei stellte sich im Übrigen heraus, dass derjenige, welcher das Video vorgelegt hat, den Fahrstreifen gewechselt hat. Und in einem Verfahren vor dem AG Düsseldorf wurde die Verwertung eines Videos für zulässig erachtet, in welchem der Unfallgegner zwar nicht zu sehen war, dies aber bei unterstellter Richtigkeit eines Vortrags genau der Fall hätte sein müssen. Mit anderen Worten: Das Fehlen des klägerischen Pkw an der behaupteten Stelle im Video vor der Kollision hat zugleich den klägerischen Sachvortrag widerlegt und es war von einem beiderseitigen Fahrstreifenwechsel auszugehen.