VVG § 100; AHB 1.1. 4.1.
Leitsatz
1. Ein nicht auf Abwehr beschränkter Deckungsanspruch kommt nicht in Betracht, wenn der VN einen tatsächlich nicht bestehenden Anspruch eines angeblich geschädigten Dritten als gegeben behauptet.
2. Ein gedeckter Sachschaden liegt nicht vor bei einem Wurzeleinwuchs in Anschlussleitungen der städtischen Kanalisation auf dem Grundstück eines Anliegers.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Hamm, Urt. v. 18.11.2016 – 20 U 48/16
Sachverhalt
Die Kl. unterhält bei dem Bekl. eine Haftpflichtversicherung. Sie wird von den Eigentümern eines Hausgrundstücks in Anspruch genommen auf Ersatz von Reparaturkosten, die entstanden seien durch Wurzeleinwuchs in eine Abwasserleitung. Der betreffende Baum steht auf städtischem Grund. Dort liegt auch jener Teil der Abwasserleitung, in welchen die Wurzeln eingewachsen sein sollen. Die Abwässer des im Eigentum der Eheleute Z stehenden Hauses werden in die öffentliche Abwasseranlage geführt. Die vom Haus der Anlieger zur im öffentlichen Straßengrund verlaufenden Kanalisation führenden Leitungen stellen gem. § 2 Nr. 7 der Abwasserbeseitigungssatzung der Kl. die sog. Anschlussleitungen dar, welche gem. § 2 Nr. 6 lit. b der Satzung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehören. Gem. § 2 Nr. 7 lit. b der Satzung werden dabei die Leitungen, die vom Gebäude bis zur privaten Grundstücksgrenze verlaufen, als Hausanschlussleitungen bezeichnet. Grundstücksanschlussleitungen sind demgegenüber gem. § 2 Nr. 7 lit. a der Satzung die Leitungen, die von der privaten Grundstücksgrenze bis zur öffentlichen Abwasseranlage führen. Die Herstellung, Erneuerung und Veränderung sowie der laufende Unterhalt der haustechnischen Abwasseranlagen sowie der Anschlussleitung auf dem anzuschließenden Grundstück hat gem. § 13 Abs. 6 der Satzung der Grundstückseigentümer auf seine Kosten durchzuführen.
Die Anlieger der Kl. meldeten im September 2013 einen Schaden durch Wurzeleinwuchs in das Stück der Abwasserleitung, das im städtischen Grundstück die Abwässer des Hauses der Anlieger zur öffentlichen Kanalisation führte (Grundstücksanschlussleitung) und nehmen die Bekl wegen der Instandsetzungskosten in Anspruch.
Die Kl. hat diese Forderung bislang nicht beglichen, sondern auf den Bekl. verwiesen. Gem. Nr. 1.1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AHB 1.14 GVV-Kommunal (im Folgenden: AHB) besteht Versicherungsschutz "im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass Sie wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses, das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden oder das Abhandenkommen von Sachen oder eine Vermögenseinbuße, die weder durch eine Personen- oder Sachbeschädigung herbeigeführt ist, zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden."
2 Aus den Gründen:
" … Die Klage ist aber unbegründet, weil der geltend gemachte Deckungsanspruch nicht besteht. …"
I. Die Kl. wird nicht i.S.d. Nr. 1.1. AHB wegen eines Schadensereignisses, welches einen Sachschaden zur Folge hatte, auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
Dabei kommt es im vorweggenommenen Deckungsprozess – wie hier – nicht darauf an, ob der von dem Dritten gegen den VN geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht. Versicherungsschutz besteht gem. Nr. 4.1 AHB auch wegen unbegründeter Haftpflichtansprüche. Der VR schuldet deren Abwehr. Dementsprechend ist für die hier vorzunehmende Prüfung des Versicherungsschutzes – vor bindender Feststellung des Haftpflichtanspruchs – darauf abzustellen, ob nach den (so wird allgemein formuliert) “Behauptungen' des Anspruchstellers ein Deckungsanspruch besteht (Trennungsprinzip, vgl. BGH, VersR 2001, 90). Unberechtigte Inanspruchnahmen sind vom Versicherungsschutz umfasst, wenn auch nur die entfernteste Möglichkeit besteht, dass der VN aus dem unter das versicherte Risiko fallenden Tatbestand verurteilt wird. …
Aber auch unter Berücksichtigung dieses Trennungsprinzips gilt, dass hier nicht Schadensersatz wegen eines Sachschadens i.S.d. Nr. 1.1 AHB begehrt wird.
1. Dass diese Voraussetzung für einen Anspruch des VN auf Deckungsschutz erfüllt wäre, lässt sich hier nicht etwa schon mit dem Argument begründen, es könne – unabhängig von der “wahren' Rechtslage … – jedenfalls die Auffassung vertreten werden, das geschädigte Rohrstück stehe im Eigentum der Anlieger; schon deshalb sei Deckungsschutz geboten.
Dabei bedarf dieser Aspekt vorliegend keiner abschließenden Erörterung. Es kann offenbleiben, ob der Haftpflichtversicherer die von ihm versprochene Abwehr unbegründeter Ansprüche grds. – vielleicht auch beschränkt auf rechtliche Zweifelsfälle – schon dann zu leisten hat, wenn zwar nach den von dem Dritten behaupteten Tatsachen richtigerweise … keiner der Fälle der Nr. 1.1 AHB vorliegt, dies aber bei einer bestimmten anderen Rechtsauffassung sehr wohl der Fall ist; ob also, mit anderen Worten, bei der Prüfung des Deckungsanspruchs zugunsten des VN nicht nur die tatsäc...