VVG § 174; B-BUZ § 2
Leitsatz
1. In der Berufsunfähigkeitsversicherung sind zeitlich befristete Anerkenntnisse für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nicht zulässig.
2. Im Rahmen der Feststellung der zumutbaren Entfernung einer Verweisungstätigkeit sind auch Angebote auf dem verdeckten Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.
3. Führt ein VN, der neue Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, die eine Verweisung erlauben würden, seinen bisherigen Beruf überobligationsmäßig fort, so kann er gleichwohl auf eine zumutbare Vergleichstätigkeit verwiesen werden.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.11.2015 – 5 U 84/13
Sachverhalt
Der Kl., ein Kraftfahrzeugmeister, verlangt von der Bekl. Leistungen aus einer BU-Versicherung, die prozentual gestaffelte Zahlungen je nach dem Maß der Berufsunfähigkeit vorsieht. Der Kl. beantragte am 23.11.2008 eine Rente wegen einer Beeinträchtigung des rechten Fußgelenks. Daraufhin erbrachte die Bekl. aufgrund einer "außervertraglichen Vereinbarung" ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Leistungen bis 30.11.2009. Im November 2009 schloss der Kl. eine Fortbildung als Betriebswirt im Kfz-Gewerbe ab und beantragte am 9.5.2010 erneut Rentenleistungen. Die Bekl. erklärte daraufhin, sie halte den Kl. für die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit für zu 40 % berufsunfähig, verweise ihn aber auf die Tätigkeit eines Betriebswirts im Kfz-Gewerbe C. Der Kl. ist bei der C-Niederlassung im Bereich Karosserie weiterhin als "mitarbeitender Meister" (ohne Ausführung von Tätigkeiten, die mit schwerem Tragen verbunden sind), tätig.
Das LG hat einen Rentenanspruch von Juni 2010 bis September 2011 für begründet erklärt und die auf weitergehende Leistungen gerichtete Klage zurückgewiesen, weil die Bekl. den Kl. im Rechtsstreit auf die Tätigkeit eines "Automobil-Serviceberaters bei der Automarke C" verwiesen habe.
2 Aus den Gründen:
" … Das Urteil des LG ist richtig."
Das LG ist … zu Recht davon ausgegangen, dass der Kl. in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Kraftfahrzeugmeister ab spätestens Februar 2009 bedingungsgemäß berufsunfähig gewesen ist. Von ihrer hierdurch begründeten Leistungspflicht hat sich die Bekl. nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme gelöst, indem sie den Kl. mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten v. 20.6.2011 in wirksamer Weise auf die Tätigkeit eines “Automobil-Serviceberaters bei der Automarke C' verwiesen hat, zu deren Ausübung der Kl. aufgrund seiner im November 2009 abgeschlossenen Ausbildung als Betriebswirt im Kfz-Gewerbe befähigt ist.
Nach dem Versicherungsvertrag liegt (vollständige) Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. … Für den Fall, dass Berufsunfähigkeit in diesem Sinne über einen Zeitraum von sechs Monaten ununterbrochen gegeben war, fingiert § 2 Abs. 3 B-BUZ diesen Zustand von Beginn an als Berufsunfähigkeit. Der Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung entsteht gem. § 2 Abs. 4 B-BUZ mit Beginn des Kalendermonats nach Eintritt der Berufsunfähigkeit. Dabei waren Versicherungsleistungen aufgrund einer besonderen Vereinbarung im Versicherungsschein (Anlage B1b, Seite 3) bereits ab einer Berufsunfähigkeit von mindestens 25 % versprochen.
1. Von dem Eintritt von Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen war – spätestens ab Februar 2009 – auszugehen.
a) Entgegen der Ansicht des Kl. war ein Leistungsanspruch allerdings nicht schon aus einem der vorgerichtlichen Vereinbarung zu entnehmenden Anerkenntnis begründet.
Der Kl. konnte dem unmissverständlichen Wortlaut der Vereinbarung v. 16.3.2009 ohne Weiteres entnehmen, dass die Bekl. sich hinsichtlich des Vorliegens bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit gerade nicht binden wollte und zwar weder in Gestalt eines Anerkenntnisses gem. § 5 Abs. 1 B-BUZ noch im Sinne eines zeitlich begrenzten Anerkenntnisses unter einstweiliger Zurückstellung der Frage der Verweisung gem. § 5 Abs. 2 B-BUZ. …
b) Die Leistungspflicht der Bekl. ergab sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Unwirksamkeit dieser Vereinbarung. Deren Unwirksamkeit folgt allerdings schon daraus, dass der Kl. bei Abschluss der Vereinbarung nicht über das Risiko einer möglicherweise nachteiligen Veränderung seiner Rechtsposition aufgeklärt worden ist.
Wegen der speziellen Ausgestaltung der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der VR nach Treu und Glauben in besonderer Weise gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des VN auszunutzen, für den die dem VR geläufigen Regelungen über die Erklärung eines Leistungsanerkenntnisses, dessen Reichweite und das Nachprüfungsverfahren nur schwer durchschaubar sind. Mit Blick auf die für den VN meist existentielle Bedeutung der Berufsunfähigkeitsrente muss eine beiderseits ...