"… Das KG hat den Zulassungsantrag der Betr. gegen das Urteil des AG verworfen."
Klarstellend merkt der Senat an: Ob dem von der Betr. beauftragten Sachverständigen Einsicht in “sämtliche Falldateien des Messtags' zu gewähren gewesen wäre oder ob diesem Begehren datenschutzrechtliche oder andere Umstände entgegengestanden hätten, muss dahinstehen.
Allerdings erkennt der Senat an, dass der Verteidiger, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grds. auch in solche Unterlagen Einsicht nehmen kann, die sich nicht bei den Akten befinden (vgl. BGHSt 39, 291; 28, 239; Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2). Denn die Verteidigung wird ohne Kenntnis aller Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen (vgl. Cierniak/Niehaus a.a.O.). Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts (vgl. KG Berlin DAR 2013, 211 [Bedienungsanleitung]). Solch weitreichende Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren zu. Denn zum einen gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren stets zuverlässige Ergebnisse liefert, und zum anderen hat der Betr. einen Anspruch darauf, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden (vgl. BGHSt 39, 291; Cierniak zfs 2012, 664).
Das daraus folgende Recht auf einen “Gleichstand des Wissens' und auf Zugang zu den jedenfalls den Betr. betreffenden Messdaten ist jedoch nicht Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Dieses Verfahrensgrundrecht verlangt, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betr. Stellung nehmen konnte (vgl. BVerfG 6, 12). Zwar umfasst das Recht auf effektive Stellungnahme auch das Recht auf Informationen über den Inhalt und den Stand des gerichtlichen Verfahrens und damit auf Akteneinsicht (vgl. KG Berlin DAR 2013, 211). Einen Anspruch auf Erweiterung der Gerichtsakten vermittelt Art. 103 GG jedoch nicht (vgl. KG Berlin DAR 2017, 593; Cierniak zfs 2012, 664 und ausführlich Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2). Der hier einschlägige Grundsatz der “Waffengleichheit', der dem Betr. die Möglichkeit verschafft, sich kritisch mit den durch die Verfolgungsbehörden zusammengetragenen Informationen auseinanderzusetzen, ist vielmehr Ausfluss der Gewährleistung eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK (vgl. Cierniak/Niehaus a.a.O.).
Unbeschadet erheblicher Bedenken gegen die Zulässigkeit der hier erhobenen Verfahrensrüge kann mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG nur die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden. Eine solche liegt nach dem Ausgeführten nicht vor. Andere Verfahrensgrundsätze, so auch jener des fairen Verfahrens, sind der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht gleichgestellt.
Bei der hier verhängten Geldbuße von 90 EUR kommt auch eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. nicht in Betracht (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).
Die Betr. hat die Kosten ihrer nach § 80 Abs. 4 S. 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 S. 1 StPO).“