BGB § 242; PflVG § 3 Nr. 1
Leitsatz
1) Haben zwei Mittäter einen Motorroller entwendet und wird der eine Mittäter als Beifahrer bei einem von dem anderen Mittäter als Fahrer verursachten Verkehrsunfall verletzt, ist ein Direktanspruch des Verletzten ausgeschlossen. Dem Direktanspruch des Verletzten steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Mit der Geltendmachung des Direktanspruchs beruft sich der Verletzte auf eine lediglich formale Rechtsposition, die er durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten, den vorausgehenden Diebstahl, erlangt hat.
2) Der Ausschluss der Schutzbedürftigkeit des Verletzten, der in Kenntnis des Diebstahls das gestohlene Fahrzeug bestiegen hat, zeigt sich europarechtlich darin, dass bei einer Verletzung des böswilligen Nutzers ein Entscheidungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer ausgeschlossen ist.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 27.2.2018 – VI ZR 109/17
Sachverhalt
Die klagende Bundesagentur für Arbeit macht gegenüber der beklagten Haftpflichtversicherung den Ersatz von Aufwendungen geltend, die sie als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an einen bei einem Verkehrsunfall Geschädigten erbracht hat. Der später – damals 15-jährige – Geschädigte (im Folgenden Leistungsempfänger) hatte gemeinsam mit dem späteren Schädiger einen bei der Bekl. haftpflichtversicherten Motorroller entwendet. Der Leistungsempfänger verunglückte als Sozius auf dem von dem Schädiger gesteuerten Motorroller, als dieses mit einem vorfahrtsberechtigten Pkw kollidierte. Zuvor hatten Schädiger und Geschädigter, die über keine Fahrerlaubnis für das Führen des Motorrollers verfügten, abwechselnd die Positionen des Fahrers und Beifahrers eingenommen. Bei dem Unfall erlitt der Leistungsempfänger ein Polytrauma mit schwerem Schädelhirntrauma und weitere schwere Verletzungen, die schwere Sehstörungen und motorische Einschränkungen zur Folge hatten.
Der Kl. besuchte in den Jahren 2011 und 2012 eine Werkstatt für behinderte Menschen. Die Kl. erbrachte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gem. §§ 1112 ff. SGB III i.V.m. §§ 33 44 SGB IX, woraus sie unter Ansetzung einer hälftigen Haftungsverteilung ca. 15.000 EUR ersetzt verlangte. Weiterhin begehrt die Kl. die Feststellung die Feststellung der hälftigen Ersatzpflicht der Bekl. für den Ersatz künftiger Schäden.
Das LG hat die auch gegen den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Pkw gerichtete Klage abgewiesen. Die ausschließlich gegen die Bekl. gerichtete Berufung der Kl. führte zur Stattgabe der Klage.
Die zugelassene Revision der Bekl. war erfolgreich.
2 Aus den Gründen:
"… [5] I. Das BG ist der Auffassung, der Kl. stehe ein auf sie gem. § 116 Abs. 1 und 3 SGB X übergegangener Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens des Leistungsempfängers in der geltend gemachten Höhe zu. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:"
[6] Der Leistungsempfänger habe gegen die Bekl. einen Schadensersatzanspruch in der nun von der Kl. geltend gemachten Höhe aus §§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung (im Folgenden PflVG a.F.). Zwar könne ein Kfz-Haftpflichtversicherer gegenüber dem nichtberechtigten Fahrer nach § 2b Abs. 1 Buchstabe b AKB in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung (im Folgenden: AKB a.F.) Leistungsfreiheit einwenden. Dies habe nach § 3 Nr. 4 PflVG a.F. aber keine Auswirkungen auf den gem. § 3 Nr. 1 PflVG a.F. bestehenden Direktanspruch eines geschädigten Dritten. Auch sei der Anspruch des Leistungsempfängers nicht deshalb ausgeschlossen, weil dieser den Roller zuvor gemeinsam mit dem Schädiger gestohlen und unberechtigt verwendet habe, selbst auch mit dem Roller gefahren sei und gewusst habe, dass der Schädiger keine Fahrerlaubnis gehabt habe. Weder sei der Leistungsempfänger dadurch zum Fahrer oder Halter i.S.v. § 2b Abs. 1 Buchstabe b AKB a.F. geworden, noch führe dies dazu, dass sein Anspruch gegen die Bekl. nach § 242 BGB ausgeschlossen sei. Das Mitverschulden des Leistungsempfängers sei mit nicht mehr als 50 % zu berücksichtigen.
[7] Der Anspruch des Leistungsempfängers sei gem. § 116 SGB X auf die Kl. übergegangen, weil die von der Kl. erbrachten Leistungen zum Erwerbsschaden des Bekl. kongruent seien. Schließlich seien die Ansprüche der Kl. auch nicht verjährt.
[8] II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der vom BG vertretenen Auffassung steht der Kl. der im Revisionsverfahren noch streitgegenständliche Anspruch nicht zu.
[9] 1. Bereits der Leistungsempfänger hatte keinen durchsetzbaren Schadensersatzanspruch gegen die Bekl.
[10] a) Im Ergebnis noch zutreffend ist das BG davon ausgegangen, dass dem Leistungsempfänger dem Grunde nach ein entsprechender Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger zustand.
[11] Fraglich ist allerdings, ob sich dieser Anspruch – wie das BG meint – aus § 18 Abs. 1, § 7 Abs. 1 StVG ergibt. Denn es ist jedenfalls zweifelhaft, ob der Leistungsempfänger aus § 18 Abs. 1 StVG einen Anspruch für sich...