Die Entscheidung erörtert für die Konstellation eines Zweitunfalls die Frage der Anspruchsminderung des nicht angeschnallten Geschädigten.

1. Hatte der Kfz-Insasse entgegen der Bestimmung des § 21a Abs. 1 StVG den Sicherheitsgurt nicht angelegt, fällt grds. ein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) an seinen infolge der Nichtanlegung des Gurts erlittenen Unfallverletzungen zur Last (vgl. BGH NJW 1993, 53; BGH NJW 2001, 1485 = DAR 2001, 117).

Über den Ausnahmekatalog des § 21a Abs. 1 S. 2 StVO hinaus entwickelt die Entscheidung des BGH, dass nach dem Erstunfall den Geschädigten eine Anschnallpflicht nicht mehr traf, wobei zum einen der Geschädigte nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO verpflichtet war, nach dem Erstunfall den Gurt zu lösen, das Fahrzeug zu verlassen, sich in Sicherheit zu bringen und die Unfallstelle zu sichern, so dass schon deshalb von einem Wegfall der Pflicht zur Anlegung des Sicherheitsgurts auszugehen war. Hinzu kam die von dem BGH nicht erwähnte Pflicht zur Beseitigung von "Gegenständen" i.S.d. § 32 StVO. Besonders die praxiswichtige Verpflichtung des Geschädigten (wie des Schädigers), nach dem Eintritt eines Unfalls unfallbedingt ausgetretenes Dieselöl (vgl. BGH VM 64, 74; OLG Hamm VersR 1962, 434), ausgetretenes Motoröl (OLG Bamberg VRS 72, 88) oder Ausfluss aus Kies- und Sandtransportern (vgl. BGH VRS 9, 340) zu beseitigen, konnte nur nach Lösung des Sicherheitsgurts erfüllt werden. Insoweit verdrängen die Verpflichtungen aus §§ 32, 34 StVO die – möglicherweise – fortbestehende Verpflichtung zur Anlegung des Sicherheitsgurts.

Der BGH stützt den Fortfall der Verpflichtung zur Anlegung des Sicherheitsgurts auf eine weitere Erwägung und nimmt damit einen weiteren, nicht ausdrücklich in § 21a Abs. 1 S. 2 StVO erwähnten Ausnahmetatbestand zur Verpflichtung, den Sicherheitsgurt anzulegen, an. In Abgrenzung zu der viel diskutierten Entscheidung vom 12.12.2000 (VersR 2001, 524) geht er davon aus, dass die Anschnallpflicht deshalb beendet war, weil mit dem Erstunfall die "Fahrt" beendet war, was sich darin zeige, dass die Kl. mit ihrem Pkw unfallbedingt an der Leitplanke zum Stehen gekommen war. Der BGH hatte in der erwähnten Entscheidung vom 12.12.2000 sich der Auffassung angeschlossen, dass die Gurtanlegepflicht auch bei kurzzeitigem verkehrsbedingtem Anhalten bestehe, weil der Begriff der Fahrt den Gesamtvorgang der Benutzung des Kfz als Beförderungsmittel umfasse (so auch OLG Celle NJW 2006, 710; KG VRS 1970, 299; Janiszewski, NStZ 1987, 274; zustimmend Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 21a StVO Rn 3).

2. Obwohl der BGH mit dieser Begründung eines Wegfalls der Anschnallpflicht eine anspruchsmindernde Mitverantwortung des Geschädigten hinsichtlich der Unfallfolgen verneinte, geht er auf einen weiteren von dem BG übersehenen Gesichtspunkt ein, der gleichfalls der Annahme eines Mitverschuldens entgegen stehen konnte. Ausgangspunkt der Überlegung des BGH ist es, dass das Nichtanlegen des Gurts die bei dem Unfall verursachten Körperschäden unterschiedlich oder überhaupt nicht beeinflussen kann. Die Ursächlichkeit des unterlassenen Anschnallens muss hinsichtlich jeder einzelnen Verletzung festgestellt werden (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 21a StVO Rn 21; vgl. auch BGH NJW 1980, 2125). Die Rspr. hat Fallgruppen herausgebildet, bei denen es feststeht, dass ein angelegter Gurt die Verletzung verhindert hätte. So ist für Platzwunden auf der Stirn angenommen worden, dass sie bei Angurtung und den damit verbundenen Rückhalteeffekt verhindert worden wären (OLG Hamburg VRS 59, 5). Anscheinsbeweise für ein Nichtangeschnalltsein können bei schweren Gesichtsverletzungen angenommen werden (vgl. BGH NZV 1990, 386; OLG Köln VersR 2002, 908; OLG Frankfurt zfs 1986, 289). Auch das Herausschleudern eines Beifahrers aus einem sich überschlagenden Fahrzeug lässt im Wege des Anscheinsbeweises den Schluss zu, dass er nicht angeschnallt war (LG Frankfurt NZV 2005, 524). Da nur die Ersatzansprüche für die durch das NichtanschnalIen verursachten Körperschäden gekürzt werden dürfen (vgl. BGH NJW 1980, 2125; BGH NJW 1981, 287; Geigel/Zieres, "Der Haftpflichtprozess", 25. Aufl., Kapitel 27 Rn 553) ist bei Vorliegen mehrerer Verletzungen, die teilweise durch das Nichtanschnallen mitverursacht worden sind, teilweise nicht, eine einheitliche Mitverantwortungsquote zu bilden, die aus dem Gewicht der einzelnen Verletzungen abzuleiten ist (BGH a.a.O; Geigel/Zieres, a.a.O.).

Von medizinischer Seite sind Grundsätze sog. Beschädigungskategorien entwickelt worden, die eine Verbindung des unterbliebenen Anschnallens mit bestimmten Verletzungsarten herstellen, was der BGH gebilligt hat (vgl. Danner, 16. VGT, 1978, S. 47; BGH NJZV 1990, 386).

3. Gegen eine Ursächlichkeit des unterbliebenen Anschnallens spricht ein seitlicher Aufprall mit erheblicher Deformierung der Fahrzeugseite, auf der der Verletzte saß (OLG Hamburg VRS 76, 112), eine Frontalkollision mit einer Aufprallgeschwindigkeit von meh...

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