Zusammenfassung
Nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kann der Eigentümer, der eine von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkung zu dulden hat, von dem Benutzer dieses Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.
§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB regelt unmittelbar nur die Ausgleichspflicht für rechtmäßige Einwirkungen durch eine privatrechtliche Tätigkeit. Rechtsprechung und Literatur wenden ihn jedoch analog auch auf andere Sachverhalte an. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hat die Rechtsprechung das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis entwickelt. Anknüpfungspunkt ist die Sonderverbindung tatsächlicher Art, der gesteigerte soziale Kontakt unter Nachbarn.
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB hat für den Geschädigten den Vorteil, dass diese Anspruchsgrundlage verschuldensunabhängig ist und ihm so häufig zu dem gewünschten Entschädigungsziel verhilft.
A. Ausgleichsanspruch versus Schadensersatzanspruch
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch kann ein Schadensersatzanspruch sein, wenn der Entschädigungsanspruch auf vollen Schadensersatz geht. Dies ist insb. bei Substanzverletzungen der Fall.
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch stellt somit gleichzeitig einen versicherten Schadensersatzanspruch i.S.v. Ziffer 1 Nr. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) dar.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bestimmt sich Inhalt und Umfang des Anspruchs nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung. Wie bei einem öffentlich-rechtlichen Enteignungs- oder Aufopferungsanspruch auf der Grundlage der §§ 74, 75 EinlALR, für den eine Behandlung als Schadensersatzanspruch i.S.d. § 1 AHB ganz überwiegend anerkannt ist, geht es dabei um einen für das Schadensersatzrecht charakteristischen Ausgleich für die durch die Beeinträchtigungen des Eigentums erlittenen Einbußen.
B. Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs
Voraussetzungen eines etwaigen Ausgleichsanspruches sind:
Es muss eine Einwirkung auf das benachbarte Grundstück vorliegen (siehe unter I.).
Die Einwirkung muss wesentlich sein (siehe unter II.).
Es darf kein Anspruch aus § 1004 BGB bestehen bzw. bestanden haben, der die Beeinträchtigung in gleichem Maße hätte verhindern können (siehe unter III.).
Der Anspruch muss sich gegen den Ersatzverpflichteten richten (siehe unter IV.).
Den Anspruch muss der Ersatzberechtigte stellen (siehe unter V.).
I. Einwirkung
1. Legaldefinition
Nach der Legaldefinition des § 906 Abs. 1 BGB muss es sich um eine von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkung handeln. Als solche Einwirkungen – auch Immissionen genannt – nennt das Gesetz, nicht abschließend, die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche und Erschütterungen.
Die Einwirkungen müssen von einem Grundstück auf ein anderes zugeführt werden.
Die Grundstücke müssen jedoch nicht unmittelbar benachbart sein. Auch bei Übergreifen eines Brandes auf das übernächste Grundstück besteht daher ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB.
2. Analoge Anwendung
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB findet auch bei anderen Einwirkungen als solchen i.S.v. § 906 BGB, wie bei Grobimmissionen (z.B. Steinschlag, umstürzender Baum, Eindringen von Wurzeln, Wasser, Erdrutsch, Tannenzapfen/-nadeln) analoge Anwendung. Der nachbarrechtliche Entschädigungsanspruch umfasst demnach jegliche Art der Beeinträchtigung, so auch den Fall der Vertiefung, § 909 BGB.
Eine solche Zuführung braucht der Grundstückseigentümer selbst dann nicht zu dulden, wenn die Beeinträchtigung ausnahmsweise unwesentlich oder ortsüblich sein sollte. Derartige "Grobimmissionen" sind rechtswidrig.
II. Wesentlichkeit der Beeinträchtigung
Die Wirkung der Beeinträchtigung ist nicht nach der persönlichen Einschätzung des Eigentümers zu beurteilen, sondern nach einem objektiven Maßstab unter Berücksichtigung der speziellen Zweckbestimmung des Grundstücks.
III. Subsidiarität zu § 1004 BGB
1. Primäranspruch Abwehr aus § 1004 BGB
Eine entsprechende Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte aus besonderen Gründen rechtlich oder tatsächlich gehindert gewesen wäre, einen ihm zustehenden Primärrechtsschutz geltend zu machen. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB greift demnach nicht, wenn der Geschädigte die Gefahr kannte oder hätte kennen müssen (z.B. ein Baum ist offensichtlich krank bzw. altersbedingt umsturzgefährdet). Bestand somit bereits lange Zeit vor dem Schadenereignis genügend Anlass, gegen die Gefahr vorzugehen, scheidet ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aus. Das wird insb. nicht der Fall sein, wenn es sich um ein überraschendes Schadensereignis handelt.
2. Sekundäranspruch Ausgleich aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch tritt insoweit an die Stelle des primären Abwehranspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB, der auf Beseitigung oder Unterlassung der B...