1. Primäranspruch Abwehr aus § 1004 BGB
Eine entsprechende Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte aus besonderen Gründen rechtlich oder tatsächlich gehindert gewesen wäre, einen ihm zustehenden Primärrechtsschutz geltend zu machen. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB greift demnach nicht, wenn der Geschädigte die Gefahr kannte oder hätte kennen müssen (z.B. ein Baum ist offensichtlich krank bzw. altersbedingt umsturzgefährdet). Bestand somit bereits lange Zeit vor dem Schadenereignis genügend Anlass, gegen die Gefahr vorzugehen, scheidet ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aus. Das wird insb. nicht der Fall sein, wenn es sich um ein überraschendes Schadensereignis handelt.
2. Sekundäranspruch Ausgleich aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch tritt insoweit an die Stelle des primären Abwehranspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB, der auf Beseitigung oder Unterlassung der Beeinträchtigungen gerichtet ist. Daher setzt § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zunächst voraus, dass der Einwirkende einem solchen Abwehranspruch des Geschädigten ausgesetzt ist. Der Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die Störereigenschaft vorliegt. Daher kann sich der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nur gegen einen Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB richten. Üblicherweise wird zwischen Handlungs- und Zustandsstörer unterschieden:
Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung durch seine Handlung oder pflichtwidrige Unterlassung adäquat verursacht hat.
Zustandsstörer ist der Eigentümer, Besitzer oder Verfügungsbefugte einer Sache, von der eine Beeinträchtigung ausgeht, jedoch nicht allein aufgrund dieser Rechtsstellung, sondern nur, wenn die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf seinen Willen zurückgeht. Die bloße Stellung etwa als Eigentümer eines Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, reicht für sich allein daher noch nicht aus.
Die Frage, ob der Eigentümer eines Grundstücks für hiervon ausgehende Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks als Störer in Anspruch genommen werden kann, lässt sich nach dem BGH nicht begrifflich klären, sondern kann nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall beantwortet werden (siehe dazu nachfolgend).
Entscheidend ist, ob es Sachgründe dafür gibt, im konkreten Fall die Verantwortung dem Eigentümer des Grundstücks aufzuerlegen, von dem die Beeinträchtigung ausgeht.
3. Praxisrelevante Entscheidungen aus der Rechtsprechung
a) Umstürzen eines gesunden Baumes infolge eines orkanartigen Sturmes auf ein Nachbargrundstück
Die Störereigenschaft ist beim Umstürzen eines gesunden Baumes infolge eines orkanartigen Sturmes auf ein Nachbargrundstück nicht erfüllt. Unterhält der Eigentümer auf seinem Grundstück einen Baum und stürzt dieser infolge eines ungewöhnlich heftigen Sturms auf das Nachbargrundstück, so sind nach der Entscheidung des BGH vom 23.4.1993 die damit verbundenen Beeinträchtigungen dem Eigentümer regelmäßig nicht als Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB zuzurechnen, wenn der Baum gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähig gewesen ist. In diesem Fall geht von einem Baum ohne weiteres keine ernsthafte Gefahr für das Nachbargrundstück aus.
Durch Naturereignisse ausgelöste Beeinträchtigungen sind dem Eigentümer des störenden Baumes allenfalls dann als Störer zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn sie erst durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden sind. Weitere Voraussetzung für die Zurechnung einer Beeinträchtigung ist dann zusätzlich, dass der vom Eigentümer geschaffene oder geduldete Zustand eine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück gebildet hat. Das bloße Anpflanzen und Aufziehen von widerstandsfähigen Bäumen begründet eine solche Gefahrenlage regelmäßig noch nicht. Dass auch dann bei Naturkatastrophen Schäden nicht auszuschließen sind, ändert daran nichts. Denn derartige, ganz ungewöhnliche, von außen hinzutretende Ereignisse sind zwar denkbar, normalerweise aber nicht zu erwarten.
Eine Verantwortlichkeit im Rahmen des § 1004 Abs. 1 BGB kann den Grundstückseigentümer deshalb erst dann treffen, wenn von ihm unterhaltene Bäume infolge Krankheit oder Überalterung diese Widerstandskraft eingebüßt haben.
b) Schaden durch umstürzenden kranken Baum
Dementsprechend wurde entschieden, dass ein Schaden durch einen umstürzenden kranken Baum bei Windstärke 7–8, der ein gesunder Baum standgehalten hätte, als Störung anzusehen ist. Den Grundstückseigentümer träfe die Verantwortlichkeit im Rahmen des § 1004 BGB, wenn von ihm unterhaltene Bäume infolge Krankheit oder Überalterung ihre Widerstandskraft eingebüßt haben. Zwar reiche die Eigentümerstellung als solche nicht schon aus, eine Verantwortlichkeit für jedwede vom Grundstück ausgehende Gefahrenquelle zu begründen. Die Verantwortlichkeit sei jedoch in der Sphäre des Eigentümers erwachsen, wenn ein ursprünglich nicht gefahrenträchtiger Zustand infolge natürlicher Entwicklung, etwa durch Alter oder Verschleiß, ...